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Phonogalerie

Auf der Suche nach dem makellosen Knistern

Artikel vom 21.08.2008 Letzte Aktualisierung am 22.08.2008 15:49 TU

 

Phonogalerist Jalal AroFoto: Imke Plesch

1860 gelang dem Franzosen Léon Scott de Martinville die erste graphische Aufzeichnung der menschlichen Stimme, die im März dieses Jahres von amerikanischen Forschern hörbar gemacht wurde. Bald danach traten dann die Grammophone ihren Siegeszug an - die Musikindustrie war geboren. Im Montmartre-Viertel in Paris gibt es einen Sammler, der sich die Bewahrung dieses akustischen Erbes zur Lebensaufgabe gemacht hat. Im Gegensatz zu frühen Filmen und Fotos gibt es in Paris bis heute kein Museum für historische Tondokumente. Imke Plesch hat den Phonogaleristen Jalal Aro zwischen Schalltrichtern, Schellackplatten und Wachszylindern getroffen und viel Neues gelernt.

„Hier haben wir einen mechanischen Apparat von 1905, jetzt drehen wir den Hebel... dadurch wird eine Feder aufgezogen, um die Energie zu speichern, dann muss man die Sicherung lösen, den Tonkopf auf den Anfang der Platte setzen und hier kommt dann der Ton raus:

Wenn Jalal Aro eine Platte auflegt, quietscht, kratzt und knistert es. Doch Aro ist auch gar nicht auf der Suche nach dem makellosen Ton, sondern nach Echtheit. Er macht es möglich, eine Platte von 1905 auf einem genauso alten Grammophon anzuhören. Jalal Aro ist der Gründer und Besitzer der Phonogalerie, einer Mischung aus Laden und Galerie, in dem sich alles um die Geschichte des aufgezeichneten Tons dreht. An den Wänden des großen hellen Raumes hängen bunte Konzertplakate aus den 20er Jahren und in der Mitte blickt man auf ein Meer aus Schalltrichtern in allen Farben, Formen und Größen. Neben den bekannteren Grammophonen, auf denen man Schallplatten abspielt und die 1887 von dem Deutschen Emil Berliner erfunden wurden, stehen hier auch die 10 Jahre früher von Thomas Alva Edison in den USA patentierten Phonographen. Hier werden die Schallschwingungen nicht auf einer Platte, sondern auf einem Zylinder gespeichert.

Von der Sprechmaschine zum Phonographen

„Am Anfang nannte man die Apparate "machine parlante", auf Englisch "talking machine", auf Deutsch "Sprechmaschine". Vorher gab es bereits Spieluhren, aber kein Gerät, mit dem man aufnehmen konnte. Mit den neuen Apparaten konnte man jetzt die menschliche Stimme aufzeichnen, deshalb der Name Sprechmaschine. Aber dann ließ Edison sich seine Erfindung patentieren und nannte sie Phonograph. Emil Berliner, Erfinder der Platte, nannte seinen Apparat Grammophon. Zur Unterscheidung haben die Leute dann alle die Geräte, die mit Zylindern funktionierten, Phonograph genannt und die mit Schallplatten Grammophon. So wurden die Namen zu Gattungsbegriffen.“

Das Wissen um die verschiedenen "Sprechmaschinen" hat sich Aro selbst angeeignet. Als junger Mann kam der Syrer nach Paris, wo er eigentlich Zahntechniker werden wollte. Doch dann kaufte er sich ein Grammophon - und stellte fest, dass es sich um eine Fälschung handelte. Auf diesem Gebiet keine Seltenheit, erklärt Aro. Oft würden die Apparate aus verschiedenen Teilen zusammengesetzt, um den Preis zu senken. Außerdem machten viele Verkäufer einen Unterschied zwischen "echten" Sammlern und "gewöhnlichen" Kunden und horteten ihre wirklichen Schätze im Keller. Dagegen setzt Aro in seiner Galerie, die er vor 3 Jahren eröffnete auf Offenheit und Transparenz.

Zu jeder Musik das passende Gerät

Eine weitere Besonderheit seines Ladens ist der Umfang der Sammlung, die sich weder auf eine einzelne Epoche noch allein auf die Apparate beschränkt: Bei Jalal Aro findet man auch Kassettenrekorder aus den 80er Jahren sowie Platten fast aller Musikrichtungen, Filmplakate und Bücher zum Thema aufgenommene Musik. Ihn fasziniert gerade die Verbindung von Gerätedesign und Musikgeschichte.

„Am Anfang war es die Form, die Ästhetik, die mich fasziniert hat, und später die Musik. Die Kombination aus beidem ist interessant. Was ich versuche, den Leuten, die hier vorbeikommen zu erklären, ist, dass alles mit der jeweiligen Epoche zusammenhängt. Als überall Jazz gespielt wurde, hat man auch sehr viele Jazz-Platten verkauft. Deshalb finde ich es schade, sich auf eine Epoche einzuschränken - ich höre genau so gerne Platten aus den 70ern und 80ern wie Musik von 1900!“

Deshalb, so verrät Aro, hat er zuhause auch zu jeder Musik das passende Gerät - vom Phonographen aus dem 19. Jahrhundert bis zum iPod. Jalal Aro ist ein echter Sammler aus Leidenschaft. Bei jedem neuen Gerät, das er heute vor allem aus dem Ausverkauf fremder Sammler bezieht, interessiert ihn zuerst die technische Weiterentwicklung, das neue Detail. Aber statt seine Lieblingsstücke zu Staubfängern verkommen zu lassen, benutzt Aro sie, probiert sie aus. So stehen in seiner Galerie auch Zylinderphonographen, mit denen man selbst seine Stimme aufnehmen kann. Man muss dazu nur laut und deutlich in den Trichter hineinsprechen.

„Man hat hier gut gesehen: Die Person, die sagt "In der Phonogalerie amüsiert man sich, wie man kann" hat sehr laut und deutlich gesprochen. Die zweite Person, Pierre, hat in normalem Tempo geredet und man versteht nicht besonders viel.“

Und so hört sich eine Originalaufnahme von 1903 auf einem Phonographen von 1903 an.


Anfangs entwickelten sich Zylinder- und Schallplattengeräte parallel zueinander weiter, verschiedene Materialien und Größen wurden ausprobiert. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts trat schließlich die Platte ihren Siegeszug an und verdrängte die Zylindertechnik.

Erfinder in den USA, Frankreich und Deutschland versuchten, ihre Ideen zu Geld zu machen. Jalal Aro hat Phonographen aus jedem dieser Länder und deshalb auch rege Kontakte zu deutschen Sammlern.

„Seit fast 10 Jahren fahre ich jedes Jahr 3-4 Mal nach Deutschland. Es gibt zum Beispiel in Rüdesheim ein Museum für mechanische Musik. Die organisieren Austausch-Stipendien für alles was mit mechanischer Musik zu tun hat, also Spieluhren, Phonographen und so weiter. Außerdem habe ich Kontakt zu einigen Sammlern in Deutschland.“

Museum für historische Tondokumente

Im Gegensatz zu frühen Filmen und Fotos, die heute in Museen einem breiten Publikum zugänglich sind, gibt es in Paris kein Museum für historische Tondokumente. Jalal Aro möchte direkt neben seinem Laden bald ein "Musée du son enregistré", ein Museum des aufgenommenen Tons, eröffnen. Der Standort ist ideal: Der Laden befindet sich im 9. Pariser Arrondissement, unweit von Montmartre, wo zwischen Moulin Rouge, Gitarrenläden und Café-Concert-Bars bis heute eine rege Musiktradition weiterlebt.

Im Museum von Jalal Aro soll jeder staunen und vor allem viel ausprobieren dürfen. Oder in dem umfangreichen Musikarchiv stöbern, aus dem auch das folgende Lied stammt: "Auf Wiedersehen", 1950 gesungen von Rudi Schuricke und hier gespielt auf einem tragbaren Plattenspieler der 30er Jahre:

www.phonogalerie.com