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Internet und Kreation

Frankreich: Anbruch eines dunklen Internetzeitalters?

 Siegfried Forster

Artikel vom 27.03.2009 Letzte Aktualisierung am 31.03.2009 09:36 TU

Kulturministerin Christine Albanel will die Raubkopien um 80 Prozent verringern.DR
Umfragen zufolge sind die Franzosen nicht nur weltweite Spitzenreiter bei den Blogs, sondern auch was Raubkopien im Online-Sektor anbetrifft: Musik, Filme, Video-Spiele. 37 Prozent der Internetbenutzer gestehen ein, illegal aus dem Internet zu kopieren. Bei den unter 35jährigen erreicht der Anteil sogar 58 Prozent. Eine staatliche Internet-Aufsichtsbehörde (HADOPI) und ein Gesetz mit der Überschrift „internet et création“ – „Internet und kreatives Schaffen“ - sollen dem Unwesen nun Einhalt gebieten. Online-Piraten drohen Strafen, die bis zu einer Internet-Sperre gehen können. Auf dementsprechend heftigen Widerstand trifft das Projekt bei Verbraucherschützern und Internet-Vereinen. Ab dem 31. März wird in der französischen Nationalversammlung weiter über das Gesetz diskutiert. Am 9. April findet voraussichtlich die entscheidende Abstimmung statt.

HADOPI: Online-Gestapo oder Künstlerschutz?

27/03/2009

Gespräch mit dem Soziologen und Medienwissenschaftler Dr. Volker Grassmuck von der Humboldt Universität in Berlin.

In Deutschland trifft das französische Gesetzesvorhaben gegen die Internetpiraterie auf wenig Gegenliebe. Statt auf Sanktionen setzt man eher auf die Anpassung der Verwertungswege der Kulturindustrie an die technologischen Veränderungen im Internetzeitalter.  

27/03/2009 Cornelius Wüllenkemper

HADOPI: eine Wunderwaffe im Kampf gegen die Online-Piraterie?

Für die Kulturministerin geht es um nichts weniger als um die Rettung der französischen Kulturindustrie und der kulturellen Ausnahme Frankreichs. Ihren Widersachern wirft sie vor, ihr Gesetzesvorhaben als „Online-Gestapo“ verunglimpfen zu wollen. Tatsache ist, dass Verbraucherschützer und Internetverbände das Vorhaben als Angriff auf die individuellen Freiheiten ansehen. Die Rede ist von der staatlichen Einrichtung, die im Kampf gegen Raubkopien im Internet gegründet werden soll: die sogenannte „Hohe Behörde für die Verbreitung und die Rechte von autorenrechtlich geschützten Werken“ kurz

HADOPI genannt. Für die federführende Kulturministerin Christine Albanel eine Wunderwaffe im Kampf gegen die Online-Piraterie:

 „Die Idee ist nicht, die Internetbenutzer einzuschränken, sondern im Grunde die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen, damit die Kulturindustrie florieren kann. Um vielleicht noch etwas Neues zu erfinden innerhalb der Musik- und Filmindustrie, um die sehr große kulturelle Nachfrage der Leute befriedigen zu können.“

Täglich Zehntausende Verwarnungen

Das große kulturelle Bedürfnis bricht sich bislang oftmals illegal seine Bahnen. Im Filmbereich beispielsweise werden mittlerweile genauso viele Filme illegal auf Internet konsultiert wie Franzosen ins Kino gehen: täglich 450.000 Die staatliche Überwachungs-Einrichtung HADOPI soll ihnen künftig das Handwerk legen. Wer beim illegalen Download autorenrechtlich geschützter Werke erwischt wird, bekommt beim ersten Mal eine Verwarnung per Email, beim zweiten Versuch einen Mahnbrief per Einschreiben und beim dritten Mal kann ihm die Internet-Leitung gekappt werden. Zehntausende Verwarnungen – so schätzt das Ministerium – werden täglich vonnöten sein. Dabei ist aber nicht vorgesehen, dass jeder Internet-Benutzer staatlich überwacht wird, so Franck Riester, der den Gesetzesvorschlag für die Regierungspartei UMP ausarbeitete:

 „Nein, tatsächlich werden die Raubdateien bestimmter Werke verfolgt werden. Weshalb? Um besser gegen diese illegalen Kopien auf Internet vorgehen zu können. Heutzutage werden täglich 450.000 Filme illegal heruntergeladen. Seit fünf Jahren ist Absatz von Musik-CDs um 50 Prozent eingebrochen. Diese Raubkopien sind eine Bedrohung für unsere Kulturindustrie. Deshalb brauchen wir eine pädagogische Antwort, um den Franzosen zu erklären, dass illegales Herunterladen die gesamte Kulturindustrie bedroht.“

Internet - Teil der lebensnotwendigen Grundversorgung?

Von den Gegnern der Gesetzesvorlage wird darauf hingewiesen, dass ein Internetanschluss in der heutigen Gesellschaft - wie Wasser oder Strom - als Teil der Grundversorgung angesehen werden muss, die nicht einfach abgestellt werden darf.

Doch für die französische Kulturministerin hängt vom Erfolg ihres Gesetzestextes die Existenz der französischen Kulturindustrie ab. Um die katastrophalen Auswirkungen der Piraten-Mentalität vieler Jugendlicher zu unterstreichen, hat die Kulturministerin sich prominente Schützenhilfe auf ihrer Internetseite geholt. Filmemacher und –Produzent Luc Besson, macht die Internetnutzer direkt dafür verantwortlich, dass aufgrund der Raubkopien weniger Leute beschäftigt und weniger Filme gedreht werden.

 „Bei meinem „Arthur und die Minimoys“-Film haben wir beispielsweise 2,4 Millionen Raubkopien gezählt. Wir haben in Frankreich eine Million DVDs verkauft und in der gleichen Zeit wurden 2,4 Millionen illegale Kopien gemacht. Natürlich beschäftigen wir dadurch weniger Leute. Im vergangenen Jahr haben wir deshalb zwei Filme nicht machen können… Ich habe viele Produzenten-Freunde, die bestimmte Filme deshalb nicht machen konnten, denn das sind wirkliche Einnahmeverluste.“

Jacques Attali: Gesetzesvorlage ist "absurd und skandalös"

Doch was einleuchtend klingt, wird nicht überall einhellig befürwortet. Auch der Präsidentenberater, Tausendsassa und Technologie-Avantgardist Jacques Attali bezeichnet die Gesetzesvorlage als „absurd und skandalös“ und als „Zeichen für ein Land, in dem die politischen und wirtschaftlichen Eliten weder die Jugendlichen, noch die Technologien, noch die Kultur verstehen“. Zitat-Ende. Anspielung an ein Gesetz aus dem Jahr 2005, das sogar Gefängnisstrafen für Internet-Piraten vorsah und deshalb nie angewendet wurde. In das gleiche Horn bläst auch Edouard Barreiro, Spezialist bei Frankreichs größtem Verbraucherschutzverband „UFC Que choisir“.

 „Uns sagt man, dass wir Weltmeister beim Raubkopieren sind, trotzdem verdienen die Künstler weiterhin gut ihr Leben, die Einkommen der Künstler, was die Verwertungsgesellschaften anbetrifft, sind immer noch gleich hoch. Die Einkommen sind nicht gesunken, sie haben sich im letzten Jahr sogar leicht erhöht, sie stabilisieren sich. Beim Kino ist es dasselbe: wir haben ein Angebot, das so groß ist wie nie zuvor, es gab noch nie soviel Filme wie heute. Was die Zahlen angeht, so kann man absolut keinen Zusammenhang zwischen Raubkopien und einem Einkommensknick sehen. Natürlich sind die Verkaufszahlen bei den CDs gesunken, aber die CDs, das ist eine Technologie, die veraltet ist, die von den Verbrauchern nicht mehr benutzt wird.“

Maginot-Linie des Internets

Errichtet die französische Regierung also eine Art Online-Maginot-Linie? Jérémy Zimmermann vom Internet-Kollektiv: „La Quadratur du Net“ geht sogar noch einen Schritt weiter:

 „Ich sage, dieses Gesetz wird an dem Tag, an dem es verabschiedet wird, bereits veraltet sein und es ist höchste Zeit, mögliche Finanzierungswege zu erfinden, um das künstlerische Schaffen nach der HADOPI-Ära sicherstellen zu können. Dabei müssen die neuen Verhaltensweisen der Verbraucher und die neuen Technologien berücksichtigt werden, anstelle sie vergeblich zu bekämpfen. HADOPI, das bedeutet zu versuchen, das Meer mit einem Teelöffel trockenlegen zu wollen.“

Internet-Nutzer werden kriminalisiert

Die Hauptkritik der Internet-Gemeinde: das Gesetz ziele vor allem darauf ab, Internet-Nutzer zu kriminalisieren und weniger darauf, das künstlerische Schaffen zu fördern oder zu schützen. Edouard Barreiro:

 „Ganz einfach deshalb, weil dieses System dazu führen wird, dass der normale Verbraucher online überwacht, wie ein Dieb gejagt werden wird. Man wird ihn ohne jeglichen Beweis der Piraterie anklagen. Das heißt, man nimmt die IP-Adresse des Individuums und wird sagen, dieser Typ hier hat illegal Sachen kopiert. Zu keinem Zeitpunkt kann der Verbraucher den Beweis erbringen, dass er unschuldig ist. Wenn der Verbraucher seine Internet-Linie nicht mit Hilfe einer Software geschützt hat, die von der Sicherheitsbehörde HADOPI anerkannt worden ist, dann gilt er auf alle Fälle als schuldig. Dieses Gesetz schafft eine neue Straftat, nämlich sich schuldig gemacht zu haben, seine Internet-Linie nicht geschützt zu haben.“

Mit anderen Worten: jeder ist dafür verantwortlich, was auf seiner Internetlinie passiert, auch wenn sie von Familienmitgliedern oder Dritten benutzt wird. Außerdem soll eine Schwarze Liste mit schwarzen Online-Schafen erstellt werden, die von Internetanbietern eingesehen werden können, ohne dass diese der Schweigepflicht unterliegen.

Online-Kopieren legalisieren?

Alternativ-Lösungen im Kampf gegen die Raubkopien haben die Verbraucherverbände allerdings nicht.

„Es gibt keine Vorschläge, um die Internetverbindungen zu sichern oder das Kopieren zu verhindern. Unser Vorschlag lautet: das Online-Kopieren zu legalisieren. Nur so kann man das Problem lösen. Also nicht die Internetnutzer jagen, sondern legalisieren. Unser Antwort lautet: wir müssen ein System einrichten, das die Künstler für jede Online-Kopie entlohnt – dadurch kann man alle Probleme lösen und man würde die Internetnutzer mit den Künstlern versöhnen.“

Fehlende Harmonisierung in Europa

Ein System, das in den Ohren der Kulturindustrie wie eine hoffnungslose Utopie klingt und auch in keinem Land dieser Erde bislang umgesetzt worden ist. In Europa sind bislang sämtliche Bestrebungen in Richtung einer Harmonisierung in diesem Bereich gescheitert, beklagt Edouard Barreiro von „UFC Que choisir“:

„Momentan hat man in Europa eher das Gefühl, dass es ein großes Durcheinander gibt. Manche Länder sagen, dass sie abgestufte Strafen wollen und machen dann doch wieder einen Rückzieher. Wenn Sie der EU-Kommission zuhören, dann soll es ein ausgewogenes System geben und dass man die Internetbenutzer nicht ihrer Rechte und vor allem nicht ihres Internetanschlusses berauben soll. Es gibt heute ein großes Durcheinander und man bräuchte in der Tat eine wirkliche Abstimmung, um eine Lösung zu finden, aber eine Lösung, die für alle gut ist.“