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Familienpolitik in Frankreich

Kind und Karriere!

Nadine Baier

Artikel vom 21.08.2008 Letzte Aktualisierung am 21.08.2008 10:02 TU

 

Frankreich als Vorbild?
Berlin verdreifacht Krippenplätze bis 2013(Photo : AFP)

Kind oder Karriere? In Deutschland längst ein Politikum, das hitzig diskutiert wird. Die Fronten sind verhärtet: hier die »Glucken«, dort die »Rabenmütter«. In Frankreich schließen sich Karriere und Kinderwunsch nicht aus und die Geburtenrate spricht für sich, denn Frankreich liegt deutlich über dem europäischen Durchschnitt: Französische Frauen bekommen im Schnitt 2,01 Kinder. Deutsche gerade mal 1,36. In Frankreich, wo die außerhäusige Kinderbetreuung zum Erbe der höfischen Gesellschaft gehört, gilt es als selbstverständlich, dass Mütter in ihren Beruf zurückkehren. 83 Prozent der Frauen mit zwei Kindern sind berufstätig und fangen nach eineinhalb Monaten nach der Geburt wieder zu arbeiten an. Der französische Staat hilft jungen Paaren, Arbeit und Familie unter einen Hut zu bringen.

Paris, 18. Arrondissement…wenn man das bewegte Touristenviertel Montmartre mit seinen Sehenswürdigkeiten wie Sacre Coeur und den pittoresken Cafés, den Strassenmusikanten und Tumult in Richtung Nord Osten verlässt, kommt man in das ruhigere Viertel dieser Gegend: Einfamilienhäuser, gepflegte Vorgärten, Spielplätze. Eine junge Frau mit Blue Jeans und schwarzem T-Shirt schlendert am Sandkasten vorbei, es ist Florence le Corre... heute ohne ihren 3jährigen Sohn, obwohl es Samstag ist. Denn am Wochenende spielt sie hier immer mit  Simon. Aber nur dann, denn ansonsten machen das Babysitter und Erzieher für sie.

„Ich habe ihn mit neun Monaten in die Kinderkrippe gegeben, er blieb nicht den ganzen Tag dort, aber das ermöglichte mir das Arbeiten. Das klingt vielleicht komisch, aber ich habe es auch für ihn getan. Ich habe Kinder in seinem Alter gesehen, die den ganzen Tag mit ihrer Mutter verbrachten, ich fand es viel besser, dass er von anderen Kindern umgeben ist, von Frauen betreut wird, die ausgebildet sind, ich glaube, dass mein Sohn auch deshalb ein extrem aufgeweckter Junge ist.“

In die Krippe - dem Kind zuliebe

Drei Minuten später ist Florence zu Hause und lässt sich auf den Stuhl fallen. Sie genießt die Ruhe, denn der kleine Simon ist gerade bei ihren Eltern im Süden Frankreichs. Nur Stefan, ihr Lebensgefährte arbeitet gerade am Computer und hört sich sein neu produziertes Album an. Er ist Musiker. Mit ihm lebt sie in einer für Pariser Verhältnisse geräumigen 50 m2 großen Dreizimmerwohnung. Florence  ist Schauspielerin, jeden Tag ist sie auf Abruf, da kriegt sie Kind und Job nur mit einem dicken Adressbuch mit Babysittern und Kinderkrippe geregelt. Ihr Lebengefährte Stefan ist Musiker, arbeitet aber derzeit in einem Finanzbüro. Dass seine Frau zu Hause bleibt und sich um die Kindererziehung kümmert, kam für Stefan nie in Frage:

„Nein, nein, ich bin überhaupt nicht so drauf, ich bin kein Macho. Wenn eine Frau daran gewöhnt ist ein unabhängiges und autonomes Leben zu führen und plötzlich verbannt wird, zu Hause zu bleiben, dann ist das wirklich schlimm. Und ich habe gar keine Lust mit jemandem zusammen zu sein, der den ganzen Tag zu Hause ist und das Essen vorbereitet.“  

Schock in Deutschland

Florence musste sich auch noch nie vor Familie und Freunden rechtfertigen. Schockiert war sie als Ihre französische Freundin nach Deutschland ging: Sie hat einen Vertrag als Regieassistentin gefunden und sich mit einem Dekorateur angefreundet. Und eines Tages sagte sie: „Ich hoffe, dass ich heute nicht so spät fertig werde, ich muss unbedingt meinen Sohn bei seiner Großmutter abholen. Und da fiel er aus allen Wolken: „Was du hast einen Sohn? Wie alt ist er?“ Und sie antwortete ihm: "Fast zwei Jahre".  Seitdem hat er sich völlig anders ihr gegenüber verhalten und bezeichnete sie als Rabenmutter, für sie war das wirklich ein Schock. Und kurze Zeit später hat sie Deutschland mit ihrem Kind verlassen.

Florence hat diese Anekdote inspiriert. Sie schreibt in ihrer Freizeit an einem Theaterstück über Mutterschaft. Der Titel: Mère de corbeaux, Rabenmutter. Ein eigenartiger Titel in Frankreich, denn dieses Wort gibt es im Französischen nicht.

"Glucken gegen Karriere-Hühner"

Ortswechsel. Besuch bei der Familie Kuchenbecker im 19. Pariser Arrondissement, Belleville. Die deutsche Journalistin und Autorin des Buches „Glucken gegen Karriere-Hühner“ Tanja Kuchenbecker lebt seit über 15 Jahren in Paris und erzieht mit ihrem Mann ihre beiden Kinder Stefan, 5 Jahre und Lea, 8 Jahre auch auf die französische Art. Für ihre deutschen Bekannten ist das keine Erziehung,  „Rabenmutter“ das hat sie schon oft gehört:

 „Da hab ich schon gehört, " du hast die Kinder ja nur gekriegt um sie abzugeben, das geht doch nicht man muss sich doch selber um die Kinder kümmern, man kann sie doch nicht den ganzen Tag in die Schule geben, wir finden das nicht gut wenn sich der Staat um die Kinder kümmert, sondern wir wollen das selber machen,  wir wollen für die Erziehung unserer Kinder verantwortlich sein...“

Kinder: Joker für die Steuer

Doch insgeheim bewundern sie ihre kinderlosen Freundinnen aus Deutschland. Denn dank Kinderkrippen und Ganztagsschulen hatte Tanja Kuchenbecker Zeit in Ruhe ihr Buch zu schreiben. Und nicht nur sie, denn praktisch jede Mutter in Frankreich nutzt die Betreuungsangebote des Staates. Obwohl es immer schwieriger wird in Paris einen Platz in der Krippe zu bekommen, hat Frankreich  das vielfältigste Förderangebot in der EU mit Beihilfe zur häuslichen Kinderbetreuung, Beihilfe zur Beschäftigung einer Tagesmutter, Erziehungsgeld...außerdem bewirken die Einkommenszuschüsse des Arbeitgebers, dass eine Mittelschichtfamilie mit drei Kindern in Frankreich praktisch keine Steuern zahlt.