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Atommüll und Langzeitgedächtnis

Wie lange unsere Erinnerungen weiter strahlen...

Siegfried Forster

Artikel vom 31.10.2008 Letzte Aktualisierung am 07.11.2008 16:51 TU

Patrick Charton, blickt in die Vergangenheit, bohrt in die Zukunft.Foto: ANDRA

In Berlin findet heute und morgen ein Internationales Symposium zum Thema atomare Endlager statt. Weitab von dieser brennenden Aktualität wirft ein Franzose ein Blick auf das Problem. Er ist bei der Französischen Agentur für die Verwaltung radioaktiver Abfälle (ANDRA) zuständig für das Langzeit-Gedächtnis im Hinblick auf radioaktiven Abfall. Eine eigene Abteilung für diese Langzeit-Wissens-Übertragung gibt es auch bei der ANDRA noch nicht, aber Patrick Charton macht sich immerhin in offizieller Mission darüber Gedanken, wie auch in Millionen von Jahren Menschen noch wissen können, wo und welches radioaktive Material unter ihren Füssen liegt. Wie und womit dieses Wissen an nachfolgende Generationen weiter gegeben werden kann. Wir haben diesen „Monsieur atomares Langzeitgedächtnis“, den es in Deutschland bislang nicht gibt, am Sitz der ANDRA südlich von Paris besucht.

"Monsieur atomares Langzeitgedächtnis"

31/10/2008

 

Der Sitz der Französischen Agentur für die Verwaltung radioaktiver Abfälle (ANDRA) liegt für Pariser Verhältnisse ein wenig am Ende der Welt: in einem grauen, würfelartigen, unscheinbaren Bürogebäude in Chatenay-Malabry wird über das Schicksal des französischen Atommülls in den nächsten Millionen Jahren nachgedacht. Patrick Charton ist bei der ANDRA Stellvertreter des Direktors für Fragen der Sicherheit, Qualität und Umwelt. Seit 1996 leitet er eine zukunftsträchtige Ein-Mann-Mission. Die Erinnerung an den auch noch in zwei Millionen Jahren strahlenden Atommüll am Leben zu erhalten.

„1994 hat Frankreichs erstes Lager für atomaren Abfall, unser Lager am Ärmelkanal, seine letzte Lieferung bekommen. Die damalige Behörde für nukleare Sicherheit in Frankreich hat uns damals die Frage gestellt, wie wir sicherstellen wollen, dass man die Existenz dieses Atomlagers auch über einen sehr langen Zeitraum in Erinnerung behält. Die ersten Überlegungen in dieser Richtung stammen also aus dem Jahr 1994.“

Charton hält sich mit Zeitsprüngen fit

Seit dieser Zeit ist Patrick Charton also „Monsieur atomares Langzeitgedächtnis“ bei der ANDRA. Eine Lösung hat er seither nicht gefunden. „Der Weg ist das Ziel“ und den Nachdenk-Prozess am Leben zu erhalten, seine Aufgabe. Er konsultiert Psychologen, Museumsdirektoren, Archivare, Soziologen, Anthropologen und hält sich wie andere mit dem Springseil mit Zeitsprüngen fit: Während er sich mit seinen heutigen Zeitgenossen nicht darüber einigen kann, was für Informationen überhaupt überliefert werden sollen, muss er Fragen beantworten, wie etwa Menschen in 300.000 Jahren über die Existenz radioaktiven Atommülls unterrichtet werden sollen:

„Wenn man als Zeitspanne 300.000 Jahre hernimmt: es ist äusserst schwierig, sich die Menschen vorzustellen, weil wir sie nur als fossile Überreste kennen. Wir haben keine Spuren ihrer Kunstwerke, Zeugnisse ihrer Malereien, ihres Lebens, ihrer Kreationen. Der älteste Franzose heißt „L’homme de Totavelle“. Er ist in den Pyrenäen entdeckt worden und lebte ungefähr vor 450.000 Jahren. Von diesem haben wir lediglich Überreste seiner Knochen. Anhand dieser Überreste versucht man das damalige Leben zu rekonstituieren. Aber das ist nicht meine Arbeit. Ich schaue mir an, was die anderen machen.“

Das Bohren in die Zukunft!

So wie ein Paläontologe über das Leben der Dinosaurier vor 100 Millionen Jahren plaudert, so redet Patrick Charton über Atommüll in 2 Millionen Jahren: mit extrem ruhigem Tonfall, mit Leidenschaft, aber gleichzeitig mit wissenschaftlicher Nüchternheit und Distanz. Bedingt durch den zeitlichen Abstand auch mit unparteiischer Gelassenheit. Er gibt freizügig zu, dass das Bohren in die Zukunft ein unmögliches Unterfangen ist, gibt aber zu bedenken, dass es durchaus Lösungsansätze gebe. Beispiel. Auf welchem Material könnten Informationen Millionen Jahre überdauern?

„Nehmen Sie beispielsweise das Atomforschungszentrum CEA in Grenoble. Das CEA hat eine kleine Gesellschaft gegründet und ist dabei, eine Technik zu entwickeln mit Hilfe von in Saphir eingelagertem Titan-Material, dessen Haltbarkeit zwei Millionen Jahre erreichen könnte. Das bedeutet: es wäre möglich, auf atomare Abfälle eine Information anzubringen, die zwei Millionen Jahre überdauert.“

Symbole bleiben, der Sinn geht verloren

Doch wie soll erreicht werden, dass die Menschen in zwei Millionen Jahren die 20 Zentimeter große Titan-CD-Scheibe überhaupt interessiert. Wie soll garantiert werden, dass sie die Informationen überhaupt entziffern können? Wer weiß in 200.000 Jahren noch, dass ein Totenkopf, eine Kapelle oder ein großes Kreuz auf einem Feld darauf hinweisen sollte, dass sich dort ein atomares Endlager befindet.  Fragen über Fragen, die bis heute niemand beantworten kann.

„Wir stoßen immer wieder auf die Frage nach dem Sinn. Denn Dinge auf der Erdoberfläche zu kennzeichnen, das ist nicht sehr kompliziert. Es gibt Materialien mit hoher Widerstandskraft. Die 3000 Menhire im bretonischen Carnac existieren seit 6 oder 7.000 Jahren. Dort ist nichts eingeschrieben, aber wenn man Inschriften angebracht hätte, dann wären sie auch heute noch sichtbar. Und diese Hinkelsteine werden noch eine lange Zeit existieren. Das Problem ist die Frage nach dem Sinn. Die berühmte Anordnung dieser Menhire in Carnac ist bis heute rätselhaft. Wir fragen uns bis heute, warum sie existieren. Es gibt mehrere Optionen, aber ein Teil der Sinngebung ist verloren gegangen.“

Die nächsten Millionen Jahre haben Zeit?

Der größte Helfer bei Patrick Chartons Sisyphus-Arbeit heißt Zeit: Denn frühestens im Jahr 2125 wird in Frankreich das erste Endlager endgültig verschlossen. Bleiben also noch über 100 Jahre, um eine Lösung zu finden und vielleicht auch eine Partnerschaft mit den deutschen Atom-Behörden. Denn mit den USA, Japan, Belgien, der Schweiz und auch Spanien bestehen bereits Kooperationen. Mit Deutschland noch nicht. Vielleicht weil es leichter ist, 2 Millionen in die Zukunft, als zwei Kilometer zum Nachbarn zu blicken oder weil in Deutschland vielleicht bislang noch niemand wirklich an den Sinn einer Endlagerung glaubt. Und für Glaubensfragen ist Patrick Charton bei der ANDRA (noch) nicht zuständig.