Siegfried Forster
Artikel vom 11.02.2009 Letzte Aktualisierung am 12.02.2009 11:56 TU
210 Uranminen sicherten jahrzehntelang den Anspruch der französischen Republik als Atommacht und Atomkraftbetreiber. Frankreichs letzte Uranmine wurde 2001 dichtgemacht, Doch die Hinterlassenschaften der Minen strahlen weiter. Ein Teil der abgebauten Gesteinsmengen enthielt nicht genügend Uran. Diese 166 Millionnen Tonnen « Abfall » wurden jahrzehntelang als kostenloses Füllmaterial für Bauarbeiten über das Land verteilt: auf Fußballfeldern, Parkplätzen, Grünanlagen, Bauplätzen, Uferböschungen… Mit Geigerzählern ausgestattete Bürger und Wissenschaftler konnten an diesen Orten radioaktive Strahlungswerte feststellen, die bis zum 500fachen über der natürlichen Radioaktivität liegen. Geleitet hat diese Untersuchung Bruno Chareyron, Labor-Leiter des „Zentrums für unabhängige Forschung und Information über Radioaktivität“ (CRIIRAD).
„Wenn Sie das Beispiel der Uranmine Bois Noire im Loire-Gebiet hernehmen: unsere Untersuchungen zeigen, dass es mehrere Dutzend, wenn nicht sogar Hundert Standorte rund um die Mine gibt, wo radioaktiver Abfall der Mine wieder verwendet wurde. Bis heute haben wir erreicht, dass die Betreiber-Firma Areva neun der Standorte dekontaminiert. Davon betroffen sind beispielsweise der Innenhof eines Restaurants, ein Bauernhof, ein Sägewerk, aber es bleiben noch andere verseuchte Plätze übrig – beispielsweise ein Parkplatz, wo die Strahlungswerte über dem 500fachen der natürlichen Radioaktivität liegen.“
"Bislang hat man keine Katastrophe festgestellt"
Auf der Anklagebank stehen dem CRIIRAD zufolge die Nachlässigkeit der Politiker und der Betreiberfirma AREVA - und bis heute fehlende gesetzliche Vorschriften. Radioaktive Hinterlassenschaften der Uranminen gelten bis heute als normaler Abfall. Jacques-Emmanuel Saulnier, Pressesprecher der Betreiberfirma Areva verweist gegenüber dem Fernsehsender France 3 darauf, dass zu keinem Zeitpunkt gegen gesetzliche Bestimmungen verstoßen wurde. Absperrungen oder Hinweisschilder für die Bevölkerung hält er deshalb für unnötig:
« Ich würde es unangemessen finden, dass Areva von sich aus, so etwas beschließt… wenn eine Katastrophe stattgefunden hätte, dann würden wir das machen. Aber ich erlaube mir zu sagen: bislang hat man keine Katastrophe festgestellt. »
"Potentiell gefährlich, aber keine Gefahr"
André-Claude Lacoste, Chef der staatlichen Agentur für nukleare Sicherheit (ASN), erklärt, dass bis heute nirgendwo eine unmittelbare Gefahr für die Bevölkerung festgestellt worden sei. Epidemiologische Studien für die Anwohner von Uranminen erscheinen ihm als vollkommen sinnlos :
« Diese Materien sind möglicherweise gefährlich, aber die Untersuchungen, über die wir verfügen, führen uns zu der Annahme, dass keine Gefahr existiert. Also potentiell gefährlich, aber keine Gefahr… Es gibt keine epidemiologischen Studien im Niedrigdosis-Bereich, weil diese Studien in diesem Bereich keine Schlussfolgerungen ziehen können… und deshalb keinen Sinn machen.“
Äußerungen, die Bruno Chareyron, den Laborleiter des CRIIRAD, überaus verwundern:
„Wenn für ihn eine unmittelbare oder bedeutende Gefahr lediglich bedeutet, dass jemand sofort sterben wird, dann hat er Recht. Aber im Bereich des Strahlenschutzes geht es darum, die Leute vor langfristigen Gefahren niedriger Strahlenwerte zu schützen, die langfristig ein höheres Krebsrisiko bedeuten können. Das CRIIRAD hat mit seinen Untersuchungen gezeigt, dass die Leute nicht zu unterschätzenden Strahlungen ausgesetzt sind. Das heißt ein höheres Krebsrisiko und in einigen Fällen unannehmbare Strahlenwerte, die die jährlich zugelassene Strahlendosis von einem Millisivert pro Jahr überschreiten.“
40 Prozent höhere Lungenkrebsrate
Tatsache ist, dass bei ehemaligen Minenarbeitern die Lungenkrebsrate 40 Prozent höher ist als bei der Normalbevökerung, dass Strassen, Häuser, ganze Dörfer und Freizeitanlagen auf radioaktivem Gestein erbaut, Messungen manipuliert, alarmierende Berichte von Ministern seit Jahrzehnten unter Verschluss gehalten wurden. Zwei Stunden lang listete das Fernseh-Magazin « Pièces à conviction » des staatlichen TV-Senders France 3 die radioaktiven Hinterlassenschaften der jahrzehntelangen Vogel-Strauss-Politik auf und konfrontierte am Ende den französischen Umweltminister mit den Resultaten der Untersuchung. Jean-Louis Borloo klatschte in die Hände und sagte:
« Ich werde die Betreiberfirma Areva, die mir eindeutig verantwortlich zu sein scheint - juristisch und allgemein - auffordern, ihre Arbeit zu machen. Ich möchte den Untersuchungsbericht haben. Wir werden zusammen mit den Präfekten überprüfen, ob es Abfälle gibt, die vielleicht nicht so harmlos sind, wie sie erscheinen… wir werden Zäune ziehen und Warntafeln aufstellen – das Ganze in weniger als einem Jahr. Denn es ist nicht komplizierter, das alles schnell zu machen. »
"Es ist nicht komplizierter, das alles schnell zu machen."
Jean-Louis Borloo versprach als Nummer Zwei der Regierung, das Problem in weniger als einem Jahr aus der Welt zu schaffen, allerdings ohne zu präzisieren wie er die in halb Frankreich verstreuten Millionen Tonnen radioaktiven« Abfalls » der Uranminen plötzlich so einfach entsorgen will.
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