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Generalstreik

Die Krise auf den französischen Antillen verschärft sich

 Ann-Catherine Cavalli , Günter Liehr

Artikel vom 17.02.2009 Letzte Aktualisierung am 20.02.2009 12:50 TU

Guadeloupe am 16. Februar 2009 - die Polizei versucht, Barrikaden abzubauen. (Photo : AFP)

Seit gut vier Wochen legt ein Generalstreik die französische Antilleninsel Guadeloupe lahm. Anfang Februar schwappte der Ausstand auch auf die Nachbarinsel Martinique über. Die Verhandlungen mit der Pariser Regierung haben sich festgefahren. Die Krise spitzt sich sogar zu, der Protest schlug in Gewalt um. Weil das Personal nicht mehr zur Arbeit erschien, wurde der Betrieb des Hauptstadtflughafens eingestellt. Die Proteste der Übersee-Départements haben vor allem eines zu Tage befördert: soziale und ethnische Gräben aus der Kolonialzeit sowie Probleme, eine eigene Wirtschaft auf die Beine zu stellen.

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Nichts ging mehr am Sonntag auf den französischen Antillen, weder auf der Straße noch am Verhandlungstisch. Nach vierwöchigem Streik gegen hohe Lebenshaltungskosten ist der Ton zwischen Pointe-à-Pitre, Fort de France und Paris wesentlich rauer geworden. Der Dachverband "Kollektiv gegen die Ausbeutung" fordert weiterhin eine 200-Euro-Prämie für Geringverdiener und eine Preissenkung bei Grundnahrungsmitteln. Noch am Samstag hatten die linken Abgeordneten aus Regional- und Départementvertretung versucht, den Konflikt zu entschärfen. Denn eigentlich ist jetzt touristische Hochsaison auf den Bilderbuch-Inseln. Doch blockierte Straßen und der Treibstoff-Mangel machen den Betrieb der Ferienanlagen nahezu unmöglich. Der Arbeitgeber-Verband beziffert den volkswirtschaftlichen Verlust schon jetzt auf knapp 100 Millionen Euro. Doch Kompromisse lehnten die Streikführer kategorisch ab. Zudem warfen sie der Pariser Regierung Wortbruch vor. Yves Jégo, der zuständige Staatsminister für die Übersee-Gebiete, will von der vorläufigen Einigung in Bezug auf den Finanz-Ausgleich bei Mindestlöhnen nichts mehr wissen. Und so zogen am Samstag an die 50.000 Menschen gegen die "Repression" und die "Herrschaft der Weißen in der heimischen Wirtschaft." auf die Straße. Für die Abgeordnete der Radikalen Linken von Französisch-Guayana, Christiane Taubira, ist "die Insel nicht weit von einer sozialen Apartheid" entfernt. Auch Rama Yade, Staatssekretärin für Menschenrechte, sprach von einem "schweren Unwohlsein", das sich auf die Verteilung der Reichtümer gründet. Die große Mehrheit der Lokalwirtschaft der beiden Antillen-Inseln liegt in den Händen einer kleinen Minderheit, der "békés", Nachfahren der weißen Sklavenhalter aus dem 17. und 18. Jahrhundert. Ein kolonial anmutendes System. Die Malaise vor Ort hatte sich noch verstärkt, als einer der reichsten Martiniquais öffentlich stolz bekannte, seine Rasse über die Jahrhunderte vor Mischung bewahrt zu haben. "Guadeloupe gehört uns und nicht ihnen", heißt ein Slogan der aktuellen Protest-Bewegung. Übersee-Staatssekretär Yves Jégo.   

Es gibt das Problem des Monopols. Es gibt das Problem der ökonomischen Organisation, das Problem der Inselwirtschaft, die noch als ein Erbe der Kolonialära gelten kann. Dies bedeutet, dass in der Tat eine Handvoll Unternehmen den Markt dieser Insel in jeder Hinsicht dominieren. Ich habe gleich bei meiner Rückkehr am Samstag den Vorsitzenden der für Wettbewerb zuständigen Behörde getroffen. Schon vor einigen Wochen habe ich eine Untersuchungskommission zur Treibstoff-Versorgung ins Leben gerufen. Wir müssen dieses Monopolsystem brechen, die Wirtschaft auf neue Füße stellen und auch dem sozialen Dialog eine neue Basis geben. Wir müssen diese Krise auch als Gelegenheit wahrnehmen, ein neues Modell zu schaffen.

Vorerst ist ein Ende der Krise nicht abzusehen. Sowohl die Verhandlungen als auch das öffentliche Leben auf den Karibik-Inseln stehen still. Das Datum für die Grossdemonstration vom letzten Samstag war nicht zufällig gewählt. Der 14. Februar gilt als Aktionstag der Gewerkschaften, denn es wird traditionell dem Valentinstag-Massaker von 1952 gedacht. Einem Aufstand von Zuckerrohr-Arbeitern, der von der Sicherheitspolizei blutig niedergeschlagen wurde. Mit Argwohn verfolgen die Insel-Bewohner derzeit die massive Aufstockung der Sicherheitskräfte vor Ort. Letzte Woche beschlagnahmten die staatlichen Behörden Tankstellen und eröffneten einen Supermarkt unter Polizeischutz wieder. Verbal hatte sich Paris lange Zeit kaum zu Wort gemeldet. Dort betrachtet man das Problem zunächst als exklusive Angelegenheit der Sozialpartner. Der Präsident selbst kündigte letzte Woche keine sofortigen finanziellen Hilfen an, sondern nur die Einrichtung eines interministeriellen Rates für die Überseegebiete. Dieser soll in den "nächsten Monaten" Vorschläge für eine wirtschaftliche Strukturreform ausarbeiten. Für Gérard Larcher, Senats-Präsident, könnte die Reform der Gebietskörperschaften Abhilfe schaffen.  

Die Übersee-Départments wurden nach einem 1945 entstandenen System konzipiert. Danach sollten diese Départements auf die gleiche Weise verwaltet werden, wie die auf dem französischen Festland. Dann kam die Dezentralisierung, und ein und dasselbe Territorium war nun sowohl Département als auch Region. Jetzt sehen wir, dass die Vorschläge dieser Gebietskörperschaften von dem Gewerkschaftskollektiv auf Guadeloupe zurückgewiesen werden. Und mit dieser Ablehnung der politischen Struktur stellt sich eine grundlegende Frage. Sollte man nicht ein anderes institutionelles System schaffen? Darüber sollten wir gemeinsam nachdenken. Es leben mehr Mitbürger aus den Überseegebieten im Mutterland, als in den Überseegebieten selbst. Außerdem sind wir in eine globalisierte Welt eingetreten. Die Beziehung zwischen Mutterland und Überseegebieten hat sich gewandelt. Auf solche Fragen muss reagiert werden. Und ich erinnere daran, dass die Reform der Gebietskörperschaften für Ende dieses Jahres vorgesehen ist!

2007 verzeichneten die vier französischen Übersee-Gebiete - Réunion, Guadeloupe, Martinique und Guyana - mit zum Teil weit über 20% die größte Arbeitslosenrate der Europäischen Union. Auf Guadeloupe hat nur jeder zweite Jugendliche einen Job. Auf Martinique machen die reichen weißen Familien gerade einmal ein Prozent der Bevölkerung aus. Ihnen gehören jedoch die Hälfte der dortigen Immobilien und der landwirtschaftlichen Anbaufläche. Der Sprecher des Komitees der Antillen-Bewohner in Frankreich, Luc Saint-Eloi.          

Wir wollen die Verhandlungen unserer Landsleute unterstützen und mit dafür sorgen, dass sie zu einem erfolgreichen Ende kommen. Wir wollen die Kluft zwischen den Übersee-Gebieten und Frankreich verringern. Wir wollen, dass die Staatsbürger dort genauso viel gelten, wie die Staatsbürger hier. Es ist an der Zeit zu begreifen, dass wir vollwertige Staatsbürger sind, dass wir ein Anrecht auf Respekt und Menschenwürde haben. Wir wollen daher eine große Demonstration zur Unterstützung unserer überseeischen Bevölkerung organisieren. Der 21. Februar wird unsere erste große Etappe sein. Wir haben gesehen, in welchem Ausmaß sich in praktisch allen Übersee-Départements dieses große Unbehagen bemerkbar gemacht hat. Das zeigt deutlich, dass wir es leid sind, in dieser Weise ignoriert und ausgebeutet zu werden. Es geht uns darum klar zu machen, dass wir in Würde leben wollen, und dass es mit der Ungleichheit ein Ende haben muss.

Die Gewerkschaften mobilisieren unterdessen weiter und warnen davor, dass die Streikbewegung von den Antillen nicht nur auf La Réunion, sondern auch auf das französische Festland übergreifen könnte. Hier hatten Ende Januar bereits zwei Millionen Menschen gegen die diversen Sparpläne der Pariser Regierung demonstriert. Am Mittwoch bittet Präsident Sarkozy die Sozialpartner nunmehr an den Verhandlungstisch. Die genau bezifferten Forderungen aus Übersee dürften ihnen dann noch in den Ohren klingen.         

Staatschef Nicolas Sarkozy will am Donnerstag führende Politiker aus Guadeloupe und Martinique in Paris empfangen.