Ulrike Sachweh
Artikel vom 25.05.2009 Letzte Aktualisierung am 27.07.2009 11:53 TU
Der Name Picasso steht für Besucherrekorde. Das hat im vergangenen Herbst und Winter die Pariser Schau Picasso et les maîtres wieder einmal bewiesen. Das Museum von Aix-en-Provence versucht nun, auf der Erfolgswelle mitzuschwimmen. In diesem Sommer zeigt es vier Monate lang die Konfrontation Picassos mit dem Werk Paul Cézannes. Dazu gibt es aber noch eine besondere Attraktion: das Schloss Vauvenargues am Fuß der Montagne Sainte Victoire, in dem Picasso zwei Jahre lang gelebt hat und vor dem er begraben wurde, ist zum ersten Mal fürs Publikum geöffnet.
Was? Schon wieder Picasso? Und schon wieder in Gegenüberstellung mit einem seiner Vorbilder? Das kennen wir doch schon zur Genüge, was brauchen wir da nach Aix-en-Provence zu fahren? So könnte die Reaktion einiger blasierter Picasso-Liebhaber und -Kenner sein. Doch die Reise in Cézannes Heimatstadt lohnt sich tatsächlich, denn die Ausstellung Picasso-Cézanne ist sozusagen die Ergänzung zur Pariser Schau, eine Art Zoom auf die ganz speziellen Beziehungen, die Picasso zu Paul Cézanne unterhielt. Die Tatsache, dass Picasso Cézanne nie kopiert oder direkt nach einem seiner Bilder gemalt hat, macht ihn für Museumsdirektor Bruno Ely zur großen Ausnahme in Picassos Manier, alles zu vereinnahmen, sich selbst mit den Größten zu messen.
Cézanne unterscheidet sich von den anderen Künstlern, auf die sich Picasso bezogen hat, durch die Distanz, die Picasso ihm gegenüber bewahrt hat, und das obwohl Cézanne für ihn der wichtigste Künstler ist, der, den er am meisten zitiert, auf den er sich in erster Linie bezieht. Doch Cézanne bleibt für ihn eine Art Rätsel. Jedenfalls nennt er ihn immer "Monsieur Cézanne", nie kurz Cézanne, wie Velasquez oder Manet. Dieses "Monsieur Cézanne" beweist meiner Ansicht nach, dass Picasso Cézanne nie wie die anderen Meister betrachtet hat. Man kann sagen, dass er nicht in Cézannes Werk einbricht. Er hat einen Riesen-Respekt vor diesem Werk. Das geht so weit, dass er, als er sich gegen Ende seines Lebens im Schloss von Vauvenargues am Fuß der Montagne Sainte Victoire befindet, dem Berg den Rücken kehrt, wenn er eine Landschaft malt, um ihn nicht abbilden zu müssen, so als wollte er die Sainte Victoire Cézanne überlassen.
Dabei hat er Cézanne studiert wie kaum einen anderen Maler. Und zu seiner Privatsammlung gehörten drei Bilder von Cézanne, das erste, Le château noir hatte er in den 30er Jahren gekauft. In den 50er Jahren kamen zwei weitere hinzu: eine der zahlreichen Meeransichten bei l'Estaque und eine Variation mit fünf badenden Frauen. Die beiden letzten sind jetzt in Aix zu sehen, und gerade die Badenden zeigen, wie sehr Cézanne die späteren Kubisten Braque und Picasso beeinflusst hat. Bruno Ely:
In den ersten Jahren, in denen er mit Braque den Kubismus erfindet, benutzt er Cézannsche Methoden: die Multiplizierung der Gesichtspunkte, die Vereinfachung der Formen. Cézanne führt die Geometrisierung der Formen ein, wenn er sagt, dass man es fertig bringen muss, die Natur auf die Kugel, den Zylinder und den Kegel zu reduzieren. Aber über diese plastischen Aspekte, über die Maltechnik hinaus, ist Cézanne ein Modell, ein Vorbild für Picasso. Er ist sozusagen ein Vatermodell. Picasso bezeichnet Cézanne als "Vater von uns allen". Ein Vater, den man töten muss, auf den man sich aber auch stützen muss um weiter zu kommen. Die Beziehung zu Cézanne ist also ausgesprochen komplex und das sein ganzes Leben lang, sowohl was die Malerei betrifft, als das Menschliche und schließlich auch das Spirituelle.
Ein Bild zumindest in der Ausstellung ist eine ausdrückliche Hommage an Cézanne: ein kubistisches Porträt von Braque mit Pfeife und mit einem sogenannten Cronstadt-Hut auf dem Kopf, wie ihn der Aixer Meister zu tragen pflegte.
Ein ganzes Kapitel der Ausstellung ist den Themen und Formen gewidmet, die die beiden Maler gemeinsam hatten. Das Stilleben zum Beispiel, oder ganz bestimmte Objekte, die bei beiden immer wieder auftauchen: die berühmten Äpfel und der weiße Kompott-Topf unter anderen. Auch die Vorliebe für Harlekine verband die beiden. Allerdings geht Kurator Bruno Ely wohl ein bisschen zu weit, wenn er zu den Gemeinsamkeiten auch die Porträts sitzender Frauen zählt. Das ist nun wirklich keine Besonderheit der beiden, unzählige Maler haben unzählige sitzende Frauen abgebildet. Das gehört mehr oder weniger zu den Standardmotiven der Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts.
Der größte Teil der Ausstellung ist der kurzen Periode gewidmet, in der Picasso im Schloss von Vauvenargues wohnte. Gute zwei Jahre lang hat er in der kantigen Trutzburg am Fuß der Montagne Sainte Victoire gelebt und gearbeitet. Damit hat er sich auch physisch Cézanne angenähert, für den dieser Berg in der Umgebung von Aix eins der Lieblingsmotive war. Seinem Pariser Kunsthändler Kahnweiler hatte er damals gesagt: ich habe die Sainte Victoire gekauft. Welche?, fragte Kahnweiler, die echte, war Picassos Antwort. Bruno Ely zu diesem symbolträchtigen Kauf:
Als er sich bei seinem Freund Douglas Cooper, einem Kunstkritiker, in Arles während der Corrida im September 58 aufhält, erfährt er, dass das Schloss zum Verkauf steht. Schon am nächsten Tag besichtigt er das Schloss und in der Woche darauf kauft er es. Er ist also sehr schnell Feuer und Flamme für dieses Schloss. Er wird dort nicht lange wohnen, aber er behält es bis zu seinem Tode. Doch vor allem, als er stirbt, ist Jacqueline, seine letzte Frau, überzeugt, dass man ihn nicht in einem Friedhof begraben kann. Sie entscheidet, dass er vor dem Schloss von Vauvenargues begraben wird, in der Cezannschen Landschaft.
Von der Cézannschen Landschaft hat er jedoch nicht viel gemalt, vor allem nicht die mythische Sainte Victoire, dabei hatte er von seinem Schloss Vauvenargues am Nordhang des Bergs einen völlig anderen Blickwinkel als Cézanne, der ihn stets von der anderen Seite gemalt hatte. Bruno Ely:
Und von diesem Standpunkt her hätte man sich denken können, dass er sich die Freiheit nimmt diesen Berg zu malen, da Cézanne ihn eben nicht von dieser Seite dargestellt hat. Doch selbst das hat er nicht gewagt. Ich denke, er war zutiefst überzeugt, dass der Berg Cézanne gehörte. Er hat ihn sich zwar aneignen wollen, denn mit dem Schloss hat er 1000 Hektar Land gekauft, das heisst das Gelände vom Schloss bis zum Bergkamm, die Hälfte des Berges, doch gleichzeitig will er ihn nicht malen, weil er denkt, dass dieser Berg Cézanne gehört.
Was in den letzten Räumen der Ausstellung, die der Vauvenargues-Periode gewidmet sind, auffällt, ist Picassos Malstil, der sich deutlich von der vorausgegangenen Periode unterschiedet. Vorher wohnte er in der eher barocken Villa La Californie in Cannes. Dort malte er sozusagen unter dem Einfluss von Matisse. Mit dem Einzug in Vauvanargues, dieser etwas rustikalen Trutzburg, beginnt eine neue Periode. Bruno Ely:
Mit dem Kauf von Vauvenargues kann er sich von Matisse befreien. Sein Werk, das vorher voller Kurven und Odalisken ähnlichen Formen war, wird nun viel kantiger, strenger und schmuckloser, und nähert sich dem Cézannschen Geist. Auch die Farben ändern sich, vor allem das Grün. Es wird zu einem dunklen Flaschengrün, das er praktisch nur in der Vauvenargues-Periode benutzt und das er aus der Natur vor seinen Augen schöpft. Dieses Grün imponiert ihm. Er sagt: jedesmal, wenn ich nach Vauvenargues komme, sehe ich Grün. Die beiden anderen Farben sind Gelb und Rot, die katalanischen Nationalfarben, aus einem einfachen Grund: General Franco hatte die Verwendung dieser Farben verboten. Picasso verwendet sie damals ganz ostentativ in vielen seiner Bilder als politische Demonstration und Herausforderung.
Und er verwendet sie nicht nur in seinen Bildern, sondern die rot-gelben Streifen finden sich auch am Kopf seines Bettes in Vauvenargues wieder. Das Picasso-Schlafzimmer und andere Teile des Schlosses, das Speisezimmer, das Badezimmer mit einer Picasso-Freske hinter der Badewanne, und das Atelier kann man in diesem Sommer ausnahmsweise besichtigen, zur großen Freude des Aixer Museumsdirektors Bruno Ely:
Das ist ein echtes Ereignis. Wir sind sehr glücklich, dass Catherine Hutin, die Besitzerin des Schlosses, die Tochter von Jacqueline aus erster Ehe, akzeptiert hat, das Schloss für die Dauer der Ausstellung zu öffnen und so dem Publikum zu ermöglichen das Innere zu sehen. Das Schloss war noch nie für das Publikum geöffnet. Es ist also eine echte Entdeckung, obendrein hat man dort den Eindruck, dass Picasso es gerade verlassen hat und bald wieder zurück kehrt. Seit 50 Jahren hat es einen Dornröschenschlaf gehalten. Sowohl Jacqueline als auch ihre Tochter wollten nie etwas verändern, sodass man das Schloss genau so betritt, wie Picasso es gekannt hat.
Das spürt man ganz besonders im Atelier, das den krönenden Abschluss der Visite unter Begleitung und strenger Aufsicht der Schlossführer und -führerinnen bildet.
Alles ist da: die Farbtöpfe, die Pinsel, die Kästen und Kanister, alles, womit Picasso in diesem Atelier gearbeitet hat. Manche Farbtöpfe sind noch auf, man hat den Eindruck, als wäre Picasso noch ein paar Minuten vorher hier gewesen. Picasso wollte nicht, dass sein Atelier geputzt wurde, es war seine Höhle. Und er war der Ansicht, dass Staub die Dinge konserviert. Es war also absolut verboten, Staub zu wischen. Es war seine Ordnung, sein Raum, seine Höhle.
Und damit diese Ordnung auch ja nicht gestört wird, dürfen nur jeweils 19 Personen das Schloss gleichzeitig betreten. Fotografieren ist strengstens verboten und wenn man sich zum Beispiel auf einen der grünen Gartenstühle im Badezimmer setzt, bekommt man sofort eine Ermahnung. Einlass bekommt man außerdem nur, wenn man vorher beim Aixer Fremdenverkehrsamt einen Platz in den Pendelbussen reserviert hat. Maximal 70 pro Tag stehen noch zur Verfügung.
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