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Europawahlen

Sozialisten im Dilemma

Artikel vom 04.06.2009 Letzte Aktualisierung am 05.06.2009 13:48 TU

Neu Eintracht: Benoît Hamon, Ségolène Royal und Martine Aubry.(Photo : AFP)
Sozialistische Qualen vor den Europawahlen. Frankreichs Parti Socialiste (PS) steht vor einem Dilemma. Seit Monaten im Umfragetief, schafften die Sozialisten es bis jetzt nicht, Wähler in Zeiten der Wirtschaftskrise von sich zu überzeugen. Die Traditionspartei der groβen Europäer wie François Mitterand und Jacques Delors tut sich dieser Tage schwer, die Franzosen für ihre Vorstellung eines „sozialeren Europas“ zu gewinnen. Nach einem Image schädigenden Machtkampf um die Parteiführung, soll ein letztes mediales Aufbäumen Abhilfe schaffen. Anna Byhovskaya über die Gründe für das Umfragetief und die Strategie des Parti Socialiste im Europawahlkampf.

Nur wenige Tage vor der Europawahl kommen Frankreichs Sozialisten immer mehr ins straucheln. Letzte Wahlprognosen sehen den Parti Socialiste bei 20 Prozent, die Konkurrenz von der Regierungspartei bleibt jedoch stabil bei 27 Prozent.

Die Parteispitze um Martine Aubry, der Tochter des früheren Kommissionspräsidenten Jacques Delors, hat es nicht geschafft von den sozialen Unruhen der letzten Monate zu profitieren.

„Europa verändern, jetzt!“ - aber wie?

 „Originell und innovativ“ sei ihr Wahlprogramm, der PS sei zu einem „Labor der Ideen“ geworden. Unter dem Motto „Europa verändern, jetzt!“ will der PS ein soziales, humanes Europa schaffen, ganz im Gegenteil zu den Rechten, die in der EU nichts anderes als einen großen Markt sehen würden. So plädierte Ségolène Royal während einer Parteiveranstaltung für ein „soziales Europa“:

 „Arbeitnehmer aus Gandrange, ein „soziales Europa“ braucht euch! Arbeitnehmer von Continental, ein „soziales Europa“ braucht euch! Lasst uns vereinigen für ein „soziales Europa“. Niemand außer den Linken kann das bewerkstelligen, niemand!!!“

Wahlprogramm Denkzettel

Den Europawahlkampf sahen die Sozialisten als erste Gelegenheit, der Regierung einen Denkzettel zu verpassen. Zudem wollten sie dazu beitragen, Mehrheitsverhältnisse im Europaparlament zu ihren Gunsten zu verändern, den linken Flügel stärken.

Ihr Wahlprogramm sieht die Schaffung von 10 Millionen Arbeitsplätzen im ökologischen Sektor vor, europaweite Mindestlöhne sollen eingeführt, zügellosen Bankengeschäften soll ein Riegel vorgeschoben werden. Kernpunkt des Programms ist ein 100 Milliarden Euro Konjunkturpaket, dass zur Absicherung der Arbeitnehmer beitragen soll.

 „Der PS hat seinen Kredit verspielt."

Der PS will durch ungebrochenen Idealismus glänzen, doch ein „Oui, nous le pouvons“ klingt bei Martine Aubry dann doch nicht wie das „Yes, we can“ des amerikanischen Vorbilds. Die Franzosen sollen eine „Stimme aus Überzeugung“ abgeben. Doch diese erkennen keine klare Linie oder Veränderungen im Programm der Sozialisten:

 „Der PS hat seinen Kredit verspielt, da sie keine neuen Ideen vorschlägt.“

„Sie bleiben immer auf derselben Grundlinie, auf der sie schon immer waren, sie entwickeln sich nicht.“

So ist es vor allem ein Kampf mit sich selbst, den der PS seit geraumer Zeit führt. Seit dem Gerangel um den Posten der Parteivorsitzenden zwischen Martine Aubry und Ségolène Royal im vergangenen Herbst beim Parteitag in Reims, kämpft der PS um seine Glaubwürdigkeit. Hämisch wurde die Partei „Parti suicidaire“, die Selbstmordpartei, genannt. Aus dem Gezerre um Aubrys knappen Sieg wurde ein Imageschaden, der Kooperationsunwillen der beiden Kontrahentinnen paralysierte die Partei. Ségolène Royal befand sich auf einem autonomen Anti-Sarkozy Feldzug.

Versöhnung der einstigen Rivalinnen

Nun, um den drohenden Untergang zu vereiteln, kam es zur großen Versöhnung der einstigen Rivalinnen. Der gemeinsame Einzug bei der Parteikundgebung in Rezé, 10 Tage vor den Wahlen, glich vielmehr einem Rettungskommando. Die symbolische Eintracht der beiden Damen wurde mit Begeisterungsstürmen seitens der Genossen gewürdigt. Die Popularitätsverluste der vergangenen Monate und die fehlende Dynamik des bisherigen Wahlkampfes wird dieser gemeinsame Auftritt wohl nicht wiedergutmachen.

Viele Franzosen nehmen den Royal – Aubry Schulterschluss als Inszenierung wahr:

“Durch ihre Aussöhnung am Vorabend der Wahlen sind sie nicht sehr glaubwürdig.“

Politische Scheinehe?

Auch die Opposition hat schnell begriffen, dies für sich zu nutzen. Der UMP Sprecher Fréderic Lefevre sprach von einer politischen Scheinehe:

„Die Art und Weise wie die Sozialisten ihre internen Streitereien lösen und regeln ist befremdlich. Es handelt sich dabei um kein wirkliches Thema, das die Franzosen am Vorabend der Europawahlen interessiert. Wenn ich den Begriff „Scheinehe“ benutzte, dann weiß jeder, was ich meine. Die Sozialisten befinden sich ohne Zweifel in einer besonderen Lage, aber um ehrlich zu sein, bewegt die Wähler am Vorabend der Europawahlen, weder die erste Phase ihrer Wahlkampagne, die des Anti-Sarkozysmus, noch die Zweite, die der innerparteilichen Aussöhnung.“

Der Anti-Sarkozy Kurs ist fester Bestandteil des Wahlprogramms, der PS will das Auffanglager für Protestwähler sein und übt schonungslose Kritik an der Regierungsbilanz.

Hierzu der ehemalige PS-Parteichef François Hollande:

„Was will man? Will man, dass Nicolas Sarkozy in seinen Entscheidungen bestätigt wird oder seine Politik ausbremsen? Wenn man will, dass er aufgehalten wird, selbst wenn das in diesem Augenblick nicht direkt auf der nationalen Ebene möglich ist, ist es nun auf der europäischen Ebene möglich, und dies, indem man für die ‚Europäischen Sozialisten’  stimmt.“

Linke Solidarität contra pragmatischen Liberalismus

Diese Strategie ist nicht neu und überrascht wohl niemanden: Linke Solidarität gegen den pragmatischen Liberalismus der Regierung und die Achse Sarkozy – Barroso – Berlusconi. 

Martine Aubry kritisierte dabei die Rolle der Rechten in Europa:

„Die Rechte und die UMP wollen nicht über Europa debattieren. Sie unterstützen eine Politik, bei der Ungerechtigkeit überwiegt zum Vorteil der Wirtschaft, währenddessen schaffen sie das Europäische Sozialmodell ab, erschaffen jedoch keine Alternative.“

Glaubt man den Umfragen kann zumindest der PS die Negativstimmung gegen Sarkozy nicht für sich nutzen. Weder das stagnierende Wirtschaftswachstum, noch die Steuergeschenke an die höheren Einkommensklassen, Punkte die akkurat im Flugblatt des PS aufgelistet sind, kommen ihnen zugute. Denn die Sozialisten haben zahlreiche Konkurrenten.

Keine wirkliche Alternative

Zudem sehen viele Franzosen im PS keine wirkliche Alternative zur jetzigen Regierung:

„Man sieht im  PS keine Partei, die eine deutliche Stellung gegen die UMP bezieht. Es gibt die Neue Antikapitalistische Partei von Besancenot, die sich ein wenig in ihrer Art des oppositionellen Protestes unterscheidet, obwohl man auch nicht wirklich sieht, was er konkret verändern will. Ich denke, dass die PS verliert, weil sie während der Wahlperiode zu nah an die Zentristen und Bayrou rückt. Ich denke, das schadet ihrem Ansehen ein wenig. Es handelt sich um Leute, die Politik sehr zynisch machen, die sobald sie können, Bündnisse mit jedem schließen.“

Alternativen zum PS bilden sich von links mit der „Neuen Antikapitalistischen Partei“ von Olivier Besancenot, einem ehemaligen Briefträger, der es zu großer Beliebtheit gebracht hat, und der Linksradikalen Partei des Jean-Luc Mélenchon, der aus dem PS austrat, dem Beispiel der deutschen Linken folgte und sich mit den Kommunisten um Marie-Georges Buffet zusammenschloss. Von rechts ist es François Bayrou und seine Zentrumspartei MoDem, die auf 11 Prozent geschätzt wird. Stimmen, die dem PS bitterlich fehlen. Das Thema Umwelt schließlich ist von den Grünen und Daniel Cohn-Bendit bereits adäquat besetzt.

Stimmenzersplitterung: Risiko für Linke und Zentrumsparteien

Nicht umsonst plädieren die PS-Verantwortlichen gegen eine Stimmenzersplitterung, fordern zur geschlossenen Stimmenabgabe für den PS auf. 

Dazu äußerte sich Martine Aubry bei France Inter:

„Eine Stimmenzersplitterung stellt im Endeffekt ein Risiko sowohl für die Linke, als auch für die Zentrumsparteien dar, zu wenige Mandate im Europaparlament zu erhalten, um dort die Mehrheitsverhältnisse zu verändern.“

Eben deshalb wird das sozialistische Lager nicht müde gegen die neue Linke zu wettern. Olivier Besancenot reagierte darauf eher pragmatisch:

„Der PS sollte aufhören immer Gründe bei anderen für sein eigenes Versagen zu suchen. Ich denke, dass der Parti Socialiste im Moment niemanden braucht, um seine eigene Krise selbst zu durchschauen. Zu einem solchen Zeitpunkt sollten sie lieber vor ihrer eigenen Tür kehren. Ich denke, dass der Parti Socialiste groß genug ist, um selbst seine eigene Krise zu verantworten.“

Auch über Bayrou verlor Martine Aubry zuletzt kein gutes Wort mehr: er könne nur von sich und Sarkozy sprechen, nicht von Europa, er denke jetzt schon an die kommenden Präsidentschaftswahlen.

Resignation der Wähler

Ein weiterer Grund der schlechten Umfrageergebnisse ist allerdings die generelle Resignation der Wähler: 

„Regierungen sind doch alle gleich, sie schlagen sich doch alle gegenseitig die Köpfe ein wegen Fragen, die man sich nicht stellen sollte, sei es von Rechts oder von Links. Ich habe seit Jahren die Linke gewählt, aber jetzt bereue ich das, denn die Linke und die Rechte sind alle gleich.“

Bei den Europawahlen wird mit einer sehr geringen Wahlbeteiligung gerechnet. Eine Stimmenthaltung aber käme einem Freifahrtsschein für Sarkozy gleich, so die PS-Parteiführung.

Bei der letzten Europawahl vor 5 Jahren führte der PS noch eindeutig mit 29 Prozent Stimmenanteil vor Sarkozys UMP, die damals bei 16 Prozent lag. Ein Ergebnis um die 20 Prozent Marke bei diesen Wahlen wäre also mehr als schmerzhaft.