Suche

/ languages

Choisir langue
 

Europawahlen

Franzosen zeigen wenig Interesse

Artikel vom 05.06.2009 Letzte Aktualisierung am 05.06.2009 12:08 TU

Europäische Flaggen vor dem Europäischen Parlament in Strassburg(Photo : Manu Pochez/RFI)
Die Kampagne für die Europawahlen liegt in den letzten Zügen. Die Beteiligung am Urnengang wird laut Umfragen mit 34 Prozent im EU- Durchschnitt bescheiden sein. In Frankreich sprechen die Meinungsforschungsinstitute bereits von einer historisch niedrigen Wahlbeteiligung. Neusten Umfragen zufolge werden um die 40 Prozent der französischen Wahlberechtigten ihre Stimme am Sonntag abgeben. Paul Fehlinger hat sich auf die Spurensuche nach den Ursachen der geringen Wahlbeteiligung gemacht.

Ein rein französisches Problem ist die Europapolitikverdrossenheit nicht. Das Interesse an dem Wert der demokratischen Stimme ist in ganz Europa rückläufig. Paradoxerweise nahm die Wahlbeteiligung seit der ersten Europawahl nahezu konstant ab, während das Parlament aus seinen Kinderschuhen herauswuchs und stetig neue Kompetenzen dazu gewann. Könnte man von einem Land wie Frankreich, das durch seine erfolgreiche EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2008 die Bürger nicht nur durch den blau leuchtenden Eiffelturm für Europa sensibilisiert hat, nicht erwarten, dass mehr als nur 2 von 5 Wahlberechtigten am Sonntag zur Urne gehen werden? Gaëtane Ricard-Nihoul, die Leiterin des pro-europäischen think-tanks Notre Europe, bringt das Problem auf den Punkt:

Natürlich haben sich die Franzosen während der EU-Präsidentschaft für die EU interessiert, weil Frankreich das Sagen hatte. Sie haben sich also mit dem europäischen System identifizieren können. Aber es gibt einen fundamentalen Unterschied zwischen diesem Interesse und den anstehenden EU-Wahlen. Bei den Wahlen fehlt ganz klar ein Verständnis der Prozesse im EU-Parlament. Das ist das größte Problem und der Grund, warum die Franzosen sich nicht entscheiden können, für welche Partei sie wählen sollen. Die EU-Politiker sind kaum bekannt und die wenigsten Bürger kennen wirklich die unterschiedlichen Wahlprogramme der Parteien.

Auch Marie Damien, eine Pariserin, die früher oft freiwillig als Wahlhelferin gearbeitet hat, stimmt zu, dass das Unverständnis der EU-Bürokratie zur Wahlverdrossenheit beiträgt. Der Grund dafür, so sagt sie, liegt in der fehlenden Kommunikation zwischen dem EU-Parlament und den Bürgern:

Man kann das Interesse der Franzosen an der EU nicht erst zwei Monate vor den Wahlen wecken. Und schon gar nicht Interesse für die Politik und die Arbeit der Europaabgeordneten. Wir haben doch seit über vier Jahren nichts von ihnen gehört.

Wer ist schuld an der fehlenden Kommunikation? Das Echo in der Pariser Innenstadt ist eindeutig: Natürlich spielt die mangelnde Medienaufmerksamkeit für die europäische Demokratie eine große Rolle, aber die eigentlichen Schuldigen sind die französischen Politiker, meint ein älterer Geschäftsmann im Pariser Stadtzentrum:

Der Grund für das Desinteresse der Franzosen ist ohne Zweifel die Art und Weise, wie Europa von den französischen Politikern gesehen wird.

Ähnliche Kritik übt ein adretter Laborassistent:

Ich glaube, dass die Parteien in Frankreich die Rolle Europas und die wichtigen Entscheidungen aus Brüssel nicht gerade gut erklären können. Es ist immer nur von nationalen Themen die Rede, die Franzosen nehmen an der europäischen Politik gar nicht teil. Und das ist schlimm.

Während die deutsche Debatte die entrückte Brüsseler Technokratie als Ursprung des Desinteresses anprangert, dominiert in Frankreich eine andere Auffassung. Es sind die nationalen Politiker, die nicht genug für Europa tun, nicht genug über Europa reden. Diese Beobachtung bestätigt die EU-Expertin Ricard-Nihoul. Für sie ist der Hauptgrund für das schwache franzöische Interesse an den Wahlen die Geringschätzigkeit, mit der französische Politiker dem Europaparlament begegnen.

Das generelle Problem ist, dass wir eine demokratische Ebene in der EU und eine nationale demokratische Eben haben. Zwischen diesen beiden findet kaum Kommunikation statt. Für mich sind die nationalen politischen Akteure die Schuldigen für das Desinteresse an der EU-Politik. Es sind nämlich nationale Regierungsmitglieder und Politiker; die den Spagat zwischen Brüssel und Paris schaffen und die das Bindeglied zwischen nationaler und europäischer Politik sein könnten. Sie könnten den Franzosen ganz leicht erzählen: Wir waren heute in Brüssel und haben dies und jenes entschieden und wir können das nun so oder so in Frankreich umsetzen. Sie müssten also, um den Menschen Europa nähr zu bringen, eine wichtige pädagogische Rolle spielen.

Denn nur, wenn die Bürger der Mitgliedsländer aktiv die EU-Politik verfolgen, können sie das demokratische Potential des Europaparlamentes auch begreifen. Frankreich war in der Geschichte der Europäischen Union nie ein großer Kämpfer für die Kompetenzerweiterung des EU-Parlaments. So wundert es auch kaum, dass Bürger das Europaparlament gerade in Frankreich als machtlos und unwichtig wahrnehmen. Gaëtane Ricard-Nihoul:

Die Menschen haben nicht mitbekommen, dass das Parlament inzwischen ein echter Gesetzgeber zusammen mit dem Ministerrat geworden ist. Die Auffassung, dass die nationale Politik wichtiger und einflussreicher ist, besteht nach wie vor. Für die meisten spielt das EU-Parlament nur eine sekundäre Rolle.

Der think tank Notre Europe, der sich der Öffentlichkeitsarbeit für die europäische Dimension verschrieben hat, will, dass die Bürger in Frankreich begreifen, was auf supranationaler Ebene passiert und dass sie an der Gestaltung Europas demokratisch teilhaben. Was muss geschehen, damit die EU-Bürger den Wert ihrer Stimme für Europa erkennen und sie nicht ignorieren? Ricard-Nihoul meint, dass sich die Franzosen und die anderen Europäer auf zwei Faktoren dringend konzentrieren müssen: Die EU-Debatten müssen politisiert und personalisiert werden. Will heißen: Europa braucht nationale Politiker, die dem Volk den Diskurs in Brüssel näherbringen, die die Entscheidungen des EU-Parlaments auf dem nationalen Parkett thematisieren. Nur so können sich Bürger auch eine Meinung bilden. Und Europa braucht wahre europäische Politiker, mit medialer Sichtbarkeit in den Mitgliedstaaten und klaren Positionen, damit die Bürger wissen, dass ihre Interessen in Europa vertreten werden und ihre Europawahlstimme einen Unterschied macht.