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Europawahlen in Frankreich

Die Erde bebt auf der politischen Linken

 Siegfried Forster

Artikel vom 08.06.2009 Letzte Aktualisierung am 08.06.2009 08:49 TU

Wahlscheine als Denkzettel für die Sozialisten(Photo: AFP)
Schockwelle“, „Demütigung“, Die Sozialisten auf den Knien“, „Erdbeben“. Schlagzeilen nach den katastrophalen Wahl-Ergebnissen der französischen Sozialisten. Mit 16,48 Prozent der Wählerstimmen erlitt der Parti Socialiste sein schlechtestes Wahlergebnis seit 30 Jahren. Mit dem Wahldebakel der Sozialisten und dem Wahlerfolg der Umweltliste „Europe Ecologie“ (16,27 %) gerät das traditionelle Kräftegleichgewicht der politischen Parteien ins Wanken.

« Die Sozialisten gehen mir seit einiger Zeit auf den Wecker ». So machte ein Wähler im einstigen Pariser Arbeiterviertel Belleville seinem Unmut nach der Europawahl Luft. Viele Jahre hatte er die Sozialistische Partei gewählt, diesmal die ökologische Liste von Daniel Cohn-Bendit. Dem Parti Socialiste liefen bei der gestrigen Europawahl die Wähler in Scharen davon. Bleibt die Frage: Für immer?

Das grüne Erbeben erschüttert die Sozialisten

Nach dem verheerenden Rosenkrieg um die Parteispitze sieht sich die Traditionspartei nun mit einem neuen Problem konfrontiert. Sie liegt ab sofort nicht nur weit abgeschlagen hinter der konservativen Regierungspartei UMP (27,89 %), sondern muss befürchten, selbst ihre Führungsrolle innerhalb der Opposition zu verlieren. Mit 16,48 Prozent der Wählerstimmen erreichte sie gestern nur einen hauchdünnen Vorsprung vor der Grünenliste „Europe Ecologie“ (16,27 %). Das grüne Erbeben in der französischen Politik brachte der von den Grünen zur Zentrumspartei MoDem übergelaufene Jean-Luc Bennhamias am besten auf den Punkt: „Die Franzosen haben eine große Volksabstimmung gemacht. Sie haben für das Überleben des Planeten gestimmt.“

In einigen Departements schafften die Grünen sogar eine Sensation und erreichten die Spitzenposition vor UMP und PS.

Wahldebakel in Paris

In vielen Städten wie Bordeaux, Rennes, Rouen, Aix-en-Provence, Toulon verdrängten die Grünen die Sozialisten auf Platz drei und selbst im seit 2001 von dem Sozialisten Bertrand Delanoë regierten Paris erlebten die Sozialisten mit 14,7 % ein Debakel gegenüber einer UMP mit 29,59 Prozent. Die Grünen erreichten historische 27,46 Prozent!

Dies ist umso erstaunlicher, als bei den Kommunalwahlen 2008 sich die Grünen zwar mit einer guten Öko-Bilanz präsentierten, aber eine kleine Wahlschlappe einstecken mussten. Die Faszination für die Grünen bei den Europawahlen hatte offensichtlich also keine lokalen Gründe, sondern war europäischer Natur. „Europe Ecologie“ hatte einen „ökologischen New Deal“ in Europa gefordert. Doch erstmals setzten die Umweltbewegten nicht nur auf die Umwelt, sondern stellten auch soziale und wirtschaftliche Fragen erfolgreich in den Mittelpunkt. Die Forderung nach einem Mindest- und einem Maximal-Lohn fand bei den Meetings großes Echo. Mit Eva Joly, der früheren Ermittlungs-Richterin im Elf-Korruptions-Skandal, als Spitzenkandidatin, profilierten sich die Grünen im Wahlkampf als Partei mit Sachverstand: um den Sumpf der Finanzskandale auszutrocknen, für mehr soziale Gerechtigkeit und für Perspektiven im europäischen Umbau der Industrie-Gesellschaft.

Europa als Vision nach dem Nein

Mit dem Bauernrebell José Bové an seiner Seite gelang es Cohn-Bendit außerdem, das Nein zur EU-Verfassung zu überwinden. Gleichzeitig tappten sie nicht wie die Zentrumspartei von MoDem-Chef François Bayrou in die Falle, die Europawahlen zum Anti-Sarkozy-Referenderum zu erklären. Fazit: vor der Wahl hatten Umfragen der MoDem-Partei ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Europe-Ecologie vorhergesagt, am Ende landeten sie mit 8,47 % bei der Hälfte. Was werden die Grünen aus ihrer überraschend hohen Wählergunst machen? Diese Frage wurde Daniel Cohn-Bendit oft gestellt. Statt utopischen Forderungen beschränkte er sich auf europäisches Trockenbrot: „Wir wollen versuchen, zusammen mit den anderen, die Wiederwahl von EU-Kommissar José Manuel Barroso zu verhindern“. Der einstige Revoluzzer gefällt sich nach seinem Wahltriumph als konkreter Europäer.

UMP gewinnt, wenn sie will

Auf Seiten der Sozialisten Partei lecken die einst verstrittenen Chefs der jeweiligen politischen Strömungen einstweilig ihre Wunden. Die vor sechs Monaten neu gewählte Parteichefin Martine Aubry musste eingestehen, dass es ihr nicht gelungen ist, nach innen und außen eine politische Einheit und ein politisches Programm herzustellen. Die Wirtschafts- und Finanzkrise sorgte in Frankreich nicht für eine Schwächung, sondern eine Stärkung der Regierungspartei UMP, die mit ihrem Slogan: „Europa kann, wenn es will“ Wahlkampf mit der Bilanz von EU-Ratspräsident Nicolas Sarkozy gemacht hatte.

Welche Hoffnung für die Sozialistische Partei? 

PS-Chefin Martine Aubry erklärte: „Ich trage das volle Ausmaß der Verantwortung für die Sozialistische Partei“. Der Parti Socialiste hat vor allem eine tiefgehende Erneuerung nötig. Ich bitte die Franzosen, die Hoffnung in die Sozialistische Partei aufrecht zu erhalten.“

Selbst auf ihre politischen Gegner machten die Sozialisten einen derart jämmerlichen Eindruck, dass es von Ratschlägen nur so hagelte. Jean-François Copé kommentierte: „Uns ging es vor zehn Jahren genauso. Auch wir leiden unter der Schwäche der Sozialisten. Wir brauchen einen neuen politischen Dialog.“

Und die Kommunistin George-Marie Buffet erklärte: „Ich denke, dass die Frage des PS darin besteht, sich wirklich politisch links auszurichten. Dass die Sozialisten an einem Zusammenschluss arbeiten, der nicht nach rechts in Richtung Zentrumspartei MoDem ausgerichtet ist, sondern nach links“.

Hohe Wahlenthaltung der Arbeiter

Eine politische Ausrichtung, die dem sozialistischen Linksaußen und PS-Sprecher Benoît Hamon theoretisch entgegenkommt. Vielleicht wollte er deshalb am Wahlabend die Erklärung von Partei-Chefin Martine Aubry nicht kommentieren. Er interpretierte die Wahlniederlage als Folge der extrem hohen Wahlenthaltung der Arbeiter und einkommensschwachen Haushalte.

Schont sich Ségolène Royal für 2012?

Aubry-Rivalin Ségolène Royal hielt sich am Wahlabend mit Kommentaren zurück – als ob die katastrophalen Wahlergebnisse sie in ihrer Rolle als Alternative in der eigenen Partei bestärken würde und sie sich für die Präsidentschaftswahl 2012 schonen wolle.

Was nach der Wahl kaum kommentiert wurde: das Potential der linken Wählerschaft ist weiterhin enorm. Der Block der Linksparteien („Europe Ecologie“ 16,2, „Front de gauche“ 6,34 %, NPA) kam global gesehen mit 39 % auf mehr Stimmen als der politische Block der Rechten (UMP, Libertas, Debout la République) mit 35 %. Doch während sich die Kommunisten mit dem Parti de gauche als „Splitterparteien“ zur Linksfront zusammenschlossen, ist der Zusammenschluss der Sozialisten dabei, zu zersplittern. A suivre…