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Europawahlen

Der Öko-Katalysator

Artikel vom 11.06.2009 Letzte Aktualisierung am 11.06.2009 15:06 TU

Die Europawahlen haben die Grünen in Frankreich als ernstzunehmende Oppositionspartei etabliert. Daniel Cohn-Bendit hat die Ökoliste Europe-Ecologie zu einem völlig unerwarteten Sieg geführt. Über Nacht zog sie mit den Sozialisten gleich und etablierte sich als dritte Macht im Lande. Wie konnte Europe-Ecologie mit Umfragewerten von 11 bis 13.5 Prozent auf einmal 16.3 Prozent bei den Europawahlen erzielen? Was ist das Geheimnis ihres Spitzenkandidaten, dem deutsch-französischen Europapolitiker mit Wohnsitz in Frankfurt? Ein Beitrag von Paul Fehlinger.

Ich schwöre euch, ab heute Abend kann man eine neue Seite im Geschichtsbuch der Grünen Bewegung schreiben. Ja, der 7 Juni, das ist der D-Day der politischen Umweltbewegung!

Stolz verkündet Daniel Cohn Bendit das Ergebnis seiner Wahlliste Europe-Ecologie am Wahlabend. Seine heisere Stimme lässt ahnen, mit welcher Inbrunst er die das grüne Europabündnis zu einem Sieg anführte, den selbst größte Optimisten nicht ahnen konnten. Mit 16.3 Prozent hat sich die Partei Europe-Ecologie über Nacht als entscheidende politische Macht in Frankreich etablierte, auf gleicher Augenhöhe mit den Sozialisten, von den sie nur noch 0.2 Prozentpunkte trennen. Am Vorabend des 7. Juni prognostizierten die Meinungsforschungsinstitute noch ein Kopf an Kopfrennen zwischen Europe-Ecologie und der Zentrumspartei Modem um einen abgeschlagenen dritten Platz, weit hinter den Sozialisten. Und plötzlich kam es ganz anders. Europe-Ecologie wird mit genauso vielen Mandaten in das Europaparlament einziehen, wie die Traditionspartei Parti Socialiste. Können Meinungsforschungsinstitute so sehr irren, fragt sich ein Passant im Pariser Nobelbezirk Saint-Germain, und wundert sich über den plötzlichen Erfolg der grünen Wahlliste.

Das ist schon wirklich eine radikale Veränderung. Auf einmal denken Menschen jetzt an  die Umwelt!

Ob die Meinungsforschungsinstitute falsch lagen, fragen sich die Zeitungen am Tag nach der Wahl nicht. Stattdessen feiert die linksliberale Zeitung Libération den "Dany Boom", das konservative Blatt Le Figaro spricht vom "Feu vert", der Ampel, die nun grün umsprang und Le Monde nennt Cohn-Bendit anerkennend den Katalysator der Grünen. Die französischen Medien sind sich einig: Auch wenn die regierende UMP als stärkste Partei bestätigt worden ist, ist das grüne Bündnis der eigentliche Gewinner der Wahl. Wie kann dieser überraschende Sieg von Daniel Cohn-Bendit erklärt werden?

Rückblende in den Januar dieses Jahres. Daniel Cohn-Bendit, der Sohn eines deutschen Vaters und einer französischen Mutter, ist nach Frankreich zurückgekehrt. Er wird von den französischen Grünen gefeiert, ist Held und Hoffnungsträger. Die Partei plagen ernsthafte Sorgen: Sie verfügt weder über die Ressourcen, noch über die Strukturen der großen Traditionsparteien. Bei der Präsidentschaftswahl 2007 erzielte ihre Spitzenkandidatin Dominique Voynet schwache 1.5 Prozent, in den Umfragen Anfang 2009 liegen sie bei lediglich 7 Prozent. Zum zweiten Mal tritt Cohn-Bendit, der gerade ein deutsches Europamandat hat, für die französischen Grünen an. Jean-Louis  Salomon, ein ehemaliger Geschichtsprofessor, der Daniel Cohn-Bendit 1968 bei den Studentenrevolten in der Sorbonne erlebte, erklärt, warum dieser in Frankreich kein unbeschriebenes Blatt ist. 

Cohn Bendit ist in Frankreich sehr berühmt. Er kommt aus der Generation des Baby Booms, der 68er, daher kennt ihn, vor allem in der Pariser Gegend, wohl jeder. Er ist quasi, wenn sie so wollen, mehr als nur ein Politiker. Er ist so was wie ein Star. Nicht im Sinne eines berühmten Sängers, sondern eben als Politiker. Er ist wirklich sehr bekannt, und nicht irgendein dahergelaufener Politiker aus Bochum oder Dortmund, den man noch nie gesehen hat.

Daniel Cohn-Bendit formuliert tollkühn 4 Ziele für den Europawahlkampf. Er will die 10 Prozent Hürde knacken, besser als die deutschen Grünen abschneiden und sowohl vor der Zentrumspartei Modem, als auch vor den Sozialisten in der Region Ile-de-France liegen. Dank Cohn-Bendit geht ein neuer Ruck durch die Grünen, die nach Jahren der internen Schwäche zu einer neuen Dynamik, neuem Selbstbewusstsein, finden können.

Wir stehen dafür, dass die Antwort auf die Krise, die wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Natur ist, auch wirtschaftlich, sozial und ökologisch sein muss. Im Angesicht der Krise kann es nicht nur sozioökonomische Maßnahmen geben. Natürlich sind diese unerlässlich. Aber sie sind nutzlos, denn solange diese Maßnahmen nicht mit der ökologischen Transformation der Gesellschaft einhergehen,  werden wir es nicht schaffen, die Krise zu überwinden!

So Cohn-Bendit in einem Interview gegenüber dem Radiosender France Inter im April dieses Jahres. Kanalisiert wurde dieses neue Selbstwertgefühl in einem, so scheint es im Rückblick, fast perfekten Wahlkampf, mit fast schon amerikanischem Pathos. Cohn-Bendit spricht von seinem „rêve d’Europe“, dem Europäischen Traum, will Europa mit einem Green New Deal, einem sozioökonomischen Neuanfang, verändern. Mit der geachteten Antikorruptionsrichterin Eva Joly und Frankreichs berühmtesten Landwirt, dem ehemaligen Sprachrohr gegen die EU-Verfassung José Bové, holte sich Cohn-Bendit die nötige Wirtschafts- und Sozialkompetenz mit ins Boot, sagt der ehemalige Geschichtsprofessor Jean-Louis Salomon.

Die Kampagne bestand aus drei wichtigen Themen: Daniel Cohn-Bendit stand für Europa, Eva Joly gegen die Korruption und José Bové verkörperte den Kampf gegen die mit Pestiziden vergifteten Lebensmittel. Das sind drei Themen gewesen, die man nirgendwo bei den anderen Parteien gefunden hat.

Mit seinen Mitstreitern kann Cohn-Bendit alle Spektren des grünen Lagers hinter sich vereinen. Deshalb sieht auch er das Geheimnis von Europe-Ecologie Erfolg in der Zusammensetzung des Wahlkampfteams:

Ich glaube, das Besondere war die Kampagne und die Zusammensetzung unseres Teams, das wir aufbauen konnten. Der Zusammenhalt, ja die Brüderlichkeit zwischen diesen Personen, die ja, jeder für sich, auch vorher schon politisch sehr aktiv waren, ist großartig. Nehmen wir zum Beispiel die Kontroversen, die José Bové und ich über die Europaverfassung hatten. Wir haben es hinbekommen, eine Bewegung ins Leben zu rufen, in der Europa im Zentrum der Debatte steht. Welches Europa wollen wir haben, warum lieben wir Europa? Warum haben wir einen europäischen Traum? Es ist dieser Traum, der uns dazu bewegte, einen neuen ökologischen Pakt vorzuschlagen, um Europa zu verändern.

Vor allem jüngere, urbane Wähler konnte Cohn-Bendit von seinem Traum eines grünen Europas überzeugen. Die höchsten Ergebnisse erzielte er in Paris. Eva Joly, die zusammen mit Daniel Cohn-Bendit dort die grüne Europaliste anführte, freut sich über die hohen Ergebnisse:

Wir haben in Paris 21 Prozent erreicht. Und die Sozialisten 14. Das heißt, wir führen die Liste in Ile-de-France mit 7 Punkten Vorsprung.

Daniel Cohn-Bendit unterschied sich von seinen Gegnern, indem er eine Kampagne lancierte, in der es glaubhaft um Europa ging, und nicht um den traditionellen Testlauf für die nächsten französischen Präsidentschaftswahlen. Auch am Tag nach der Wahl macht Cohn-Bendit diese Trennung von Europa und Frankreich unmissverständlich  einem Interview gegenüber der Zeitung Libération deutlich:

Klar, man kann eine Wahlkampagne so gestalten wie man Lust hat. Aber wenn du keine Lust hast, dann weißt du auch nicht was du sagen sollst. Ich könnte mir nicht vorstellen, Präsident in irgendeiner Art zu sein - warum auch? Schon gar nicht in Frankreich, hören Sie, das ist doch kein Leben...."

Cohn-Bendits ungestüme Art hat ihn zum Liebling der Medien gemacht. Er ist gerne als Gast in Talkshows und als Interviewpartner gesehen. Man schätzt seine Schlagfertigkeit, er kontert und hakt nach, das fehlt manchen politischen Gegnern. Dadurch verschaffte er Europe-Ecologie eine bedeutende mediale Aufmerksamkeit. Er vertritt mit großer Offenheit die Ideale und Ideen, für die er steht. Auch wenn seine Haare inzwischen Grau sind, seine Augen funkeln noch immer klar und wach hinter den Brillengläsern hervor. Er ist eine Marke mit hoher Glaubwürdigkeit. Das schätzen auch seine Wähler. Er hat Europe-Ecologie ein Gesicht gegeben, ein Image, das den Sozialisten nach etlichen Führungskrisen noch immer fehlt.

Daniel Cohn-Bendit hat mit dem Wahlerfolg des grünen Europabündnisses den französischen Grünen den Weg an die Spitze der französischen Opposition geöffnet. Abzuwarten bleibt, ob sich das starke Ergebnis des Europabündnis Europe-Ecologie auch in den nächsten französischen Wahlen widerspiegeln wird. Die Zeichen dafür stehen gut, die Sozialisten reden bereits von einem neuen linken Schulterschluss mit den Grünen, um eine parteienübergreifende Opposition aufzubauen.