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EU-Fischereipolitik

Französische Fischer im EU-Schleppnetz?

 Siegfried Forster

Artikel vom 18.05.2009 Letzte Aktualisierung am 12.06.2009 09:10 TU

Bruno Dachicourt (CFTC)photo: Siegfried Forster
Ein EU-Grünbuch sorgt in Fischerkreisen derzeit für Furore. Darin ist von einer weiteren drastischen Verringerung der Fangflotte die Rede, von einer Überfischung der Meere. Frankreichs Fischerei liegt in Europa nach Spanien und Dänemark gleichauf mit Grossbritannien an dritter Stelle. Bei der Beschäftigungszahl im Fischereisektor liegt Frankreich sogar nach Spanien (63.000 Beschäftigte) an zweiter Stelle (45.256 Beschäftigte). Die französische Fischfangflotte hat sich in den letzten 30 Jahren über die Hälfte verringert und liegt derzeit bei 7.500 Schiffen. Die übergroße Mehrheit der französischen Fischerei-Betriebe wird in Familientradition geführt. Eine Reportage aus Frankreichs größtem Fischerei-Hafen in Boulogne-sur-Mer.

Samstagmorgen, vier Uhr. In Boulogne-sur-Mer ist noch dunkle Nacht, doch am Hafen herrscht bereits buntes Treiben. Am Quai liegen ein Dutzend Schiffkutter. Sie laden Hunderte rote Kisten mit Fischen aus.

„Ich heiße Jan Perrot. Ich bin Küstenfischer in Boulogne-sur-Mer. Hier sind wir am Bassin Loubet, auf meinem Fischkutter „Sainte-Catherine Labour“. Wir fischen handwerklich, vor allem in Küstennähe, mit Schleppnetzen. In den letzten drei Tagen haben wir etwas Merlan gefischt, etwas Makrelen, außerdem Rotzunge, Scholle, Muscheln, Barbe.“

"Uns lässt man keine Wahl"

Kabeljau ist nicht dabei. Oder vielmehr nicht mehr. Er ist feinsäuberlich wieder ins Meer zurück geschmissen worden. Denn die Kabeljau-Fangquote hat Kapitän Perrot bereits seit März ausgeschöpft. Andernfalls drohen ihm Strafen bis zu 22.600 Euro. Schätzungsweise 100 Tonnen toter Kabeljau landen allein in Boulogne jede Woche im Meer. Schon mehrmals haben die Fischer aus Protest gegen die Fangquoten den Hafen von Boulogne blockiert, den größten Fischereihafen Frankreichs. Perrot ist 29 Jahre alt und seit zehn Jahren Fischer, wie vor ihm sein Vater, Großvater, Urgroßvater. Für die Zukunft sieht er schwarz:

„(…) Uns lässt man keine Wahl. Wir dürfen wegen der Quote keinen Kabeljau mehr fischen, keinen Merlan, keinen Hering, die Quote für die Makrelen wird auch bald ausgeschöpft sein. Was machen wir dann? … wir fahren aufs Meer, um die Fische wieder über Bord zu werfen. Man lässt uns keine Wahl. Man lässt uns krepieren. Ich habe den Eindruck, das ist, was sie wollen. Man möchte die Fischerei in Frankreich loswerden, oder zumindest hier. Voilà.“

70 Prozent Küstenfischer-Boote

Über 70 Prozent der Fischerei in Frankreich bestehen aus kleinen Küstenfischer-Booten. Familienbetriebe, die oftmals seit Jahrhunderten von Vater zu Sohn überliefert werden. Eine Tradition, die Frankreichs Fischerei-Minister Barnier zu retten versucht, so gut er kann. Vier Millionen Euro Finanzhilfen hat er den Fischern nach dem Streik und der Hafenblockade im April versprochen. Während der französischen EU-Ratspräsidentschaft hatte er Ende 2008 zum Entsetzen von Umweltschützern sogar eine 30 Prozent höhere Kabeljau-Quote für 2009 herausgeschlagen. Vom EU-Grünbuch zur Fischereipolitik verspricht er sich nicht höhere, sondern bessere Fangquoten. Fischerei-Minister Michel Barnier ist allerdings gegen die EU-Idee weiterverkaufbarer individueller Quoten.

„Unsere Idee lautet, ein System für jährlich individuell zugeordnete Quoten einzurichten – für jedes Fischerei-Unternehmen einzeln, das dadurch mehr Verantwortung bekommen soll. Aber wir wollen das nicht überstürzt machen, sondern vorher mit freiwilligen Fischern Versuche durchführen. Danach soll ermittelt werden, welche Wirkung das hat.“

Bedrohung für Boulogne-sur-Mer

Für Bruno Dachicourt von der Küstenfischer-Gewerkschaft CFTC ist der vom EU-Grünbuch geforderte Abbau der Fischereiflotte eine Todeserklärung für viele Klein-Fischer und selbst eine Bedrohung für Fischereihäfen wie Boulogne-sur-Mer, die stark von der Fischverarbeitung abhängen. Trotzdem sieht er das neue EU-Grünbuch nicht nur als Gefahr, sondern als Chance.

"Die Neuordnung der Europäischen Fischereipolitik und das Grünbuch sind für uns eine Gelegenheit, mehr Rechte für die handwerkliche Küstenfischerei zu verlangen. Diese sichert die Arbeitsplätze in den Küstenregionen, bei der Fischlagerung, der Fisch-Verarbeitung usw. damit sich die Küsten nicht entvölkern. Wir wollen nicht den Erhalt der Fischerei, damit man Touristen sagen kann, schaut mal die drei Fischerboote im Hafen an.“

Der soziale Mehrwert von Küstenschiffern

Dachicourt will, dass der soziale Mehrwert von handwerklich arbeitenden Küstenschiffern mit ihren maximal 15 oder 25 Meter langen Booten auf europäischer Ebene anerkannt wird. In Frankreich ist dies bereits der Fall. Außerdem hofft er, dass endlich das lokale Know-how der Seeleute bei den wissenschaftlichen Studien stärker berücksichtigt wird. Damit Fischer, wenn es ausreichend Kabeljau vor ihrer Küste gibt, auch Kabeljau fischen dürfen und nicht wie bislang von einer EU-weiten Quote aufgefressen werden, wie er betont. Dann erscheint ihm sogar die vom EU-Grünbuch geforderte profitable Fischerei ohne staatliche Subventionen für realistisch:

„Wenn man das richtige Verhältnis findet zwischen dem Erhalt der Fischbestände und der handwerklichen Fischerei, dann ist das möglich. Fischer sind dazu da, zu fischen, nicht Fische über Bord zu werfen.“