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Atomenergie

Aufstand der Gemeinden im Atomland Frankreich

 Siegfried Forster

Artikel vom 03.09.2009 Letzte Aktualisierung am 04.09.2009 17:03 TU

Das Atomkraftwerk in Tricastin.(Photo : AFP)
Zwei kleine Dörfer proben den Aufstand im Atomland Frankreich. Zuerst waren sie unter 3.000 Kandidaten ausgewählt worden als möglicher Standort für ein unterirdisches Endlager für schwach radioaktiven Atommüll. Doch als die staatliche Agentur für atomare Abfälle (ANDRA) zum Bohren anfangen wollte, haben sie der französischen Behörde plötzlich einen Korb gegeben. Akteure sind zwei Minigemeinden 150 Kilometer südöstlich von Paris, Pars-lès-Chavanges und Auxon im Departement Aube. Fazit: der ANDRA läuft bei ihrem Endlager-Projekt die Zeit davon… und vielleicht auch die Bürger.

Frankreich ist ein Atomland und dort werden in aller Ruhe Atommeiler gebaut und Atommüll entsorgt. So fangen auch seit dem Amtsantritt von Präsident Sarkozy alle Geschichten an. Doch ein kleines Dorf im bislang eher verschlafenen Departement Aube leistete nun Widerstand. Anders als von den Behörden bereits öffentlich ausgeschrieben, wird in Auxon kein Testgelände für die Endlagerung von Atommüll entstehen. Die 1000 Bürger haben mit ihren Protesten eine frühere Gemeinderats-Entscheidung wieder rückgängig gemacht, freut sich Laetitia Carougeat, Präsidentin der Dorfinitiative: « Auxon sagt NEIN":

« Die Gemeindevertreter haben es verstanden, auf die Bevölkerung zu hören und sie zu befragen. Auch wenn das ein wenig spät erfolgte. Früher wäre besser gewesen. Sie haben gemerkt. Dieses Projekt kann hier keine Wurzeln schlagen. Die Leute wollen es einfach nicht. »

Frankreichs Atommüll-Academy

Der Bürgermeister hat inzwischen seinen Rücktritt eingereicht. Doch weshalb die ganze Aufregung? Auxon ist doch nur eine von 36.000 Gemeinden in Frankreich. Ganz einfach deshalb, weil zuvor bereits ein anderes, 74-Einwohner-Dorf, die Atommüll-Entsorger ratlos im Regen stehen ließ. Die ANDRA hatte schon große Mühe, überhaupt einen geeigneten Kandidaten für Frankreichs Atommüll-Academy zu finden. Über 3.000 potentiell geeignete Gemeinden wurden angeschrieben, lediglich 40 haben sich im vergangenen Jahr freiwillig gemeldet, nur zehn wurden als sehr gut geeignet qualifiziert… und wenn dann auch noch die zwei auserwählten Mini-Dörfer sich plötzlich zur atomfreien Zone erklären und dafür auf Millionen von Euro an Gewerbesteuern verzichten, dann fragt sich der naive Beobachter, was ist los im Atomland Frankreich ? Stéphane Lhomme vom Anti-Atom-Netzwerk « Sortir du nucléaire ».

« Es gibt ein großes Problem hinsichtlich des Zeitplans. Die Behörden suchen nun andere Gemeinden als möglichen Standort, aber sie wissen heute bereits, dass wir bereit stehen, um Aktionen zu starten und die betroffene Bevölkerung zu informieren. Es wird also wieder genau das gleiche passieren. Wir sind sehr zuversichtlich und glauben: es wird keinen Standort für ein unterirdisches Lager für Atommüll in Frankreich geben. »

Eine Image-Bombe für die Region

Das Paradox dabei: Im Departement Aube gibt es seit 1992 bereits zwei überirdische Zwischenlager für leichtstrahlenden Atommüll. Doch diesmal wurden Teile des Departements anvisiert, in denen Champagnertrauben reifen und herkunftskontrollierter Käse hergestellt wird.  Die Vorstellung von 15 bis 200 Meter tief vergrabenem Atommüll, der über 100.000 Jahre lang strahlt, wirkte da wie eine Image-Bombe und mobilisierte die Einwohner. Das marode Atommüll-Lager Asse und die Gorleben-Diskussion in Deutschland waren für die Atomgegner in Frankreich ein gefundenes Fressen. Der Präsident der französischen Agentur für die Atommüll-Entsorgung (ANDRA) interpretierte im Regionalfernsehen France 3 den unerwarteten Aufstand der Gemeinden als – so wörtlich – « üble und gewalttätige Hetz- und Verleumdungs-Kampagne » von Anti-Atom-Fanatikern.

« Ich glaube, weder die Regierung, noch die ANDRA - die versucht, eine Gemeinde zu finden, die erlaubt, dass wir zwei Jahre lang Bohrungen durchführen – verdienen derart viele Lügen, Gewalt und Hass, wie dies bestimmte Leute zum Ausdruck gebracht haben, die oftmals nicht aus dem Departement Aube kamen, um dieses Projekt zu torpedieren. »

Der Super-Gau der Kandidatenkür

Das Problem dabei: allzu laut wollen das die zuständigen Behörden auch wieder nicht sagen, weil sie fürchten, dass die lokale Revolte auf andere Gemeinden übergreift: Der Super-Gau der Kandidatenkür als dunkle Wolke, die an der Departements-Grenze gestoppt werden soll. Ruhe bewahren und die Bruchlandung positiv sehen, lautet das Credo von Thomas Branche, der auf France 3 als Vertreter des Energie-Ministeriums die Bürger beschwichtigte:

« Die Regierung hatte sich engagiert, dass an mehreren Standorten Untersuchungen für ein mögliches Endlager durchgeführt werden. Weil wir eben nicht von Anfang an vollkommen sicher sein können und immer Überraschungen auftreten können. Es ist etwa möglich, dass ein Standort technische Mängel aufweist. Auf der anderen Seite sagen wir den Gemeinden. Schaut her, Ihr habt tatsächlich die Möglichkeit, aus dem Projekt wieder auszusteigen. »

Dem französischen Staat bleibt nichts anderes übrig, als still und leise zwei andere Gemeinden zu finden. Möglichst schnell. Denn die politische Zeituhr tickt. Bis 2011 muss die Standort-Frage endgültig geklärt sein. Ein 2006 verabschiedetes Gesetz sieht vor, dass das Endlager spätestens 2019 fertig sein muss.