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Musée d'Orsay

James Ensor - vor den Masken

 Ulrike Sachweh

Artikel vom 09.12.2009 Letzte Aktualisierung am 09.12.2009 16:28 TU

James Ensor: "Squelettes se disputant un hareng saur", 1891, Brüssel, Musées Royaux des Beaux Arts de Belgique. © MRBAB, Brüssel © ADAGP, Paris 2009

James Ensor, bei diesem Namen fallen einem gleich die expressiven Fratzen- und Maskenbilder des flämischen Malers ein. Das Musée d'Orsay zeigt in seiner großen Ausstellung jedoch vor allem einen anderen Ensor, seine früheren Werke, die seinen Weg zum Symbolismus und zu seinem ganz eigenen Stil aufzeigen.

Die James Ensor Ausstellung im Musée d'Orsay

09/12/2009 Ulrike Sachweh

Ausstellungskuratorin Laurence Madeline: 

Er ist ein Künstler, den man nicht einordnen kann, ein sehr eigenartiger Maler. Selbst innerhalb seines eigenen Werks. Ich spreche da aus der Warte der Ausstellungskuratorin. Wenn die Werke eintreffen, kommen sie nicht in chronologischer Ordnung an, und wenn man sie auspackt, würde jemand, der Ensor nicht kennt, und der drei Bilder vor sich hat, nicht sagen, dass sie vom selben Künstler stammen. Er geht in alle Richtungen, aber immer mit außergewöhnlicher Wildheit und Wagemut.

James Ensor: "La Mangeuse d'huîtres", 1882 - Koninklijk Museum voor Schone Kunsten, Antwerpen.© Courtesy Lukas-Art in Flanders © ADAGP, Paris 2009
Tatsächlich würde man das realistische Stilleben mit einem Rochen und einem Hasen aus dem Jahr 1892 nicht unbedingt als einen Ensor identifizieren, auch nicht den erdigen Jungen mit der Lampe von 1880, oder die opulente Austernesserin von 1882. Auch das impressionistische Interieur mit zwei sich waschenden Kindern aus dem Jahr 1886 erstaunt den Besucher, der Ensor nur als den sogenannten Maler der Masken kennt. Dem Impressionismus wollte er sich übrigens nie zuordnen lassen. Ganz böse zog er über Manet und Monet her, obwohl seine Bilder Mitte der 80er Jahre stark an die französischen Maler erinnern. Er ist überzeugt, dass er es als erster und einziger geschafft hat, das Wesen des Lichts auf die Leinwand zu bringen.

Laurence Madeline:

Er ist völlig unabhängig, und wie jeder Künstler würde er immer sagen, dass er anders, dass er originell ist, er würde nie sagen, dass er in Monets Fußstapfen getreten ist. Aber seine Arbeit ist wirklich ganz anders, selbst wenn sein Werk damals mitten in die impressionistische Periode fällt, auch er interessiert sich für moderne Themen, für den Einfluss des Lichts. Doch wenn man sich seine Bilder ansieht, die er Mitte der 80er Jahre gemalt hat, die großen Landschaften, die Gemälde mit Christus und Engeln, oder seine großen dunklen Zeichnungen, da merkt man, wie meilenweit er entfernt ist von der impressionistischen Malerei. Selbst wenn manche Impressionisten zum Symbolismus tendieren, hat das nichts mit dem zu tun, was Ensor macht.

James Ensor: "La Vive et Rayonnante, L'entrée du Christ à Jérusalem", 1885 - Gent, Museum voor Schone Kunsten.© ADAGP, Paris 2009

Viele Arbeiten von Ensor erinnern tatsächlich eher an Maler wie Hieronymus Bosch, die Brueghels, oder die sogenannten "pinturas negras", die späten schwarzen Bilder von Francisco Goya, das heißt an die flämisch-spanische Bildtradition mehr als an die französische.

 

 

 

 

Laurence Madeline:

Es gibt da einen Kern von Künstlern, die man als phantastisch bezeichnen könnte, die aber nicht nur das sind. Es gibt da die Schwärze, die Einführung von Monstern und Realität. Ich finde, er ist auch von Edgar Allen Poe beeinflusst, es gibt auch zwei Zeichnungen, die direkt auf Poe anspielen; aber er hat seine ganz eigene Art, die Wirklichkeit unter die Lupe zu nehmen und dahinter eine Welt erahnen zu lassen, die praktisch parallel ist, aber grundverschieden und eben phantastisch.

Dass er ab 1890 Menschen praktisch nur noch als Fratzen, als Maskenträger und Skelette abgebildet hat, führen die Kunsthistoriker unter anderem auf Ensors Misserfolge im offiziellen Kunstmilieu zurück. Sie interpretieren seine Maskenbilder als Reaktion auf die Feindseligkeit der Anderen, als räche er sich an ihnen und der bürgerlichen Gesellschaft im Allgemeinen, indem er sie entstellt und verzerrt. Doch Kuratorin Laurence Madeline weist auf eine andere, viel tiefer verwurzelte Quelle für seine phantastischen Bilder hin.

Ensor hat sein ganzes Leben in Ostende verbracht, in einer Stadt, in der der Karneval sehr wichtig ist. Sein Vater, seine Großmutter nahmen ihn mit zum Karneval, und im Geschenkartikel-Laden der Familie wurden auch Karnevalsmasken verkauft. Seine Masken kommen also von dieser Tradition, aber darüber hinaus erlauben sie Ensor, die Farben zu übertreiben, er kann sich dabei alles erlauben. Gleichzeitig kann er sich hinter dem, was er von sich zeigt, kaschieren, das ist ein ganz komplexes Wechselspiel. Er hat da etwas gefunden, was ihm zu dem Zeitpunkt gerade zurecht kam, um sich noch mehr von seiner damaligen Gemütsverfassung zu befreien. Die Masken waren eine Befreiung.

James Ensor: "Autoportrait au chapeau fleuri", 1883/1888 - Ostende, Kunstmuseum aan Zee © ADAGP, Paris 2009, Foto: Daniel Kievith
Einige Karnevalsmasken und japanische Theatermasken, die Ensor gehört und inspiriert haben, sind nun ebenfalls im Musée d'Orsay zu sehen, wie einige andere skurrile Objekte, mit denen sich der Maler zeit seines Lebens umgeben hatte. Dazu gehört ein Totenkopf mit einem blumen- und federverziertem Hut, genau dem selben Hut, den der Maler auf zwei seiner Selbstporträts trägt. Doch noch seltsamer ist ein anderes hybrides Objekt, das direkt aus einer Wunderkammer der Horrorvisionen entsprungen scheint.

Laurence Madeline:

Es ist eine Sirene, die Ensor gehörte, sie stand auf seinem Klavier. Sie wurde in Südostasien hergestellt, vielleicht auf den Philippinen, Anfang des 19. Jahrhunderts. Diese Sirene ist ein wahres Monster, und eine Collage! Der Fischschwanz ist an einen holzgeschnitzten Körper geklebt; und darüber steckt ein Affenschädel. Eine groteske Collage! Ich mag das Objekt wahnsinnig gern. Und es ist auch nicht zufällig hier, weil es Ensor gehört hat. Es versinnbildlicht diese seltsame Welt des Ladens, in dem er als Kind seine Zeit vertrieben hat.

Die Affensirene, die Masken und rund 80 Werke, Bilder und Zeichnungen, des Vorläufers der Expressionisten und Surrealisten, James Ensor, sind noch bis zum 4. Februar im Musée d'Orsay zu sehen.