Ulrike Sachweh
Artikel vom 06.01.2010 Letzte Aktualisierung am 06.01.2010 13:44 TU
Die Schau zeigt unter anderem, dass der Jugendstil, oder Art Nouveau, wie er in Frankreich genannt wurde, sehr kurzlebig war und mehrmals im XX. Jahrhundert wieder entdeckt und neu belebt wurde. Noch Anfang der 60er Jahre wurden Gebäude von Hector Guimard, dem typischsten der Art Nouveau-Architekten, skrupellos abgerissen. Heute stehen die letzten Überbleibsel unter Denkmalschutz, und der Begriff "Art Nouveau" ist ein fester Wert in der Kunst- und Architekturgeschichte. Vasen von Gallé oder Daum werden zu Höchstpreisen gehandelt und immer wieder imitiert.
Der Kurator der Ausstellung, Philippe Thiébaut, erklärt, warum Art Nouveau eine so kurze Lebensdauer hatte:
Der Jugendstil ist eine ephemere Bewegung, die sich etwa zwischen 1890 und 1910 entfaltet hat. Die Bewegung hat einen neuen Lebensraum geschaffen, sie betraf in erster Linie Architekten und Innenausstatter. Es war eine ausgesprochen moderne Bewegung, die modernen Menschen den idealen Rahmen verschaffen wollte, und die sich vor allem gegen die Kopie alter Möbel sträubte. Das heißt, sie waren nicht unbedingt gegen den ouis XV oder LOUIS XVI-Stil, sondern gegen Neo-Louis XV und Neo-Louis XVI, und forderten einen Stil für ihre eigene Epoche. Sie haben neue Formen geschaffen, die Räume neu erdacht, wobei sie sich in erster Linie an der Natur orientierten. Auf ganz unterschiedliche Weise. Die Schule von Nancy ist eher naturalistisch, während Künstler wie Guimard oder der Spanier Gaudi in der Natur die dynamischen Linien suchten und fast abstrakte Dekors schufen. Diese Kunst war eng mit ihrer Periode, das heißt mit der Jahrhundertwende verbunden. Es ist klar, dass der erste Weltkrieg einen Schlusspunkt setzte, er hat eine Entwicklung abrupt abgebrochen, die vielleicht zu etwas Anderem geführt hätte. Der Jugendstil ist sehr schnell veraltet, wurde als Kunst des Fin de siècle betrachtet, die nichts mehr mit der Realität zu tun hatte, als Vorkriegskunst.
Der Art Nouveau-Stil, den man oft auch abfällig "style nouille", also Nudelstil, nannte, war auch als allzu bürgerlich verschrien. Die Avantgarde verschmähte alles Schnörkelige und Überladene, das neue Credo der Architekten in den 20er Jahren war die klare Linie, gepaart mit Funktionalität, nicht nur beim Bauhaus, sondern auch in Frankreich.
Aber bis das breite Publikum den Jugendstil wieder entdeckt, bis er wieder in Mode kommt, muss man bis Mitte der 60er Jahre warten. Erst Pop Art und die Psychedelic-Welle sorgen für ein echtes Art Nouveau Revival. Die Ausstellung im Musée d'Orsay zeigt sehr gut, wie direkt manche Designer von damals sich an den Modellen der Jahrhundertwende inspiriert haben.
Die ersten psychedelischen Plakate tauchen in San Francisco 1965-66 auf, für die Konzerte die Bill Graham dort mit den angesagtesten Bands veranstaltet hat, mit den Doors, Jefferson Airplane, usw. Bill Graham hat junge Künstler mit der Gestaltung der Plakate beauftragt, wie Wes Wilson und Victor Moscoso, die ausgiebig aus dem Repertoire der Jugendstilkünstler geschöpft haben. Ganz besonders bei einigen Künstlern, die man damals gerade wiederentdeckt, Alfons Mucha, dem das Londoner Victoria and Albert Museum 1963 eine große Retrospektive gewidmet hat, der 1965 eine Aubrey Beardsley-Ausstellung folgte. Man kann sagen, dass diese Ausstellungen viele junge Designer in der ganzen Welt beeinflusst haben. Die psychedelischen Künstler lassen sich also davon inspirieren, aber nehmen auch einige Veränderungen vor, vielleicht unter dem Einfluss von LSD sind ihre Farben schriller und ihre Formen noch phantasievoller als im Art Nouveau.
Die Parallelen sind hier natürlich nicht zu übersehen, genauso wie in anderen Abteilungen der Ausstellung, wo zum Beispiel ein kühn geschwungener Spiegel des Spaniers Antoni Gaudi von 1906 einer ähnlich geschwungenen Vase des Finnen Alvar Aalto aus dem Jahr 1933 gegenüber gestellt ist, oder der sogenannte "Schneckenstuhl" von Carlo Bugatti aus dem Jahr 1902 dem Stuhle "Floris" von Günter Beltzig von 1967.
Zwar ist der erste aus edlem Holz, Pergament, Gold und Kupfer, und der andere aus knallrotem Polyester und Fiberglas, doch in der Form ähneln sie sich unbestreitbar. Etwas verwunderlicher ist es, in diesem selben Raum auch Stühle des berühmten amerikanischen Möbeldesignerpaars Charles und Ray Eames zu finden, die man eher in der Nachfolge der rationellen Bauhausarchitekten vermutet hätte, bei denen Schönheit der Formen mit der praktischen Funktion Hand in Hand gehen musste. Doch für Kurator Philippe Thiébaut gibt es zumindest ein Bindeglied zwischen Art Nouveau und den Eames: die Organik.Im Art Nouveau bedeutete organisch, dass man sich an die Natur anlehnte. Ich erinnere daran, dass Eames der große Gewinner eines Wettbewerbs war, den das New Yorker MoMa zu Beginn der 40er Jahre veranstaltet hatte, und der den Titel "Organic Design" trug. Für die Künstler dieser Periode bedeutete organisch zwar auch, dass sie sich an die Natur anlehnten, aber vor allem an die ergonomischen Aspekte. Es handelt sich also um natürliche Formen, die sich der Morphologie der Menschen angleichen. Und warum erreichen diese Künstler ihr Ziel schneller als ihre Vorgänger des Jugendstils? Weil es neue Materialien gibt, man kann Holz jetzt biegen. Nehmen Sie zum Beispiel Gaudi, der hat einen rhythmisch geschwungenen Holzstuhl entworfen, doch wenn man näher hinschaut, sieht man, dass er aus mehreren Teilen zusammen gesetzt ist, während Eames mit einer einzigen gebogenen Holzfläche arbeitet. Danach kommen die verschiedenen Plastiksorten, das Schaumgummi, Stoffe wie Jersey, die es erlauben, fließende Formen aus "einem Guss" zu bauen.
Noch eine andere Gegenüberstellung scheint etwas an den Haaren herbei gezogen: ein Schmuckkasten, der von einer nackten Frauenfigur auf dem Kopf getragen wird, ein Werk aus Holz und Schmiedeeisen von François Rupert Carabin (Ecole de Nancy) aus dem Jahr 1897, und ein Glastisch, der nicht von Stahl- oder Holzfüßen gestützt wird, sondern von einem auf allen Vieren stehenden halbnackten Pin-up aus Plastik. 1968 hat der britische Popartist Allen Jones mit solchen erotischen Möbelstücken für einigen Skandal gesorgt. Aber was hat das nun mit Jugendstil zu tun? Auch dafür hat der Kurator des Musée d'Orsay eine plausible Antwort:
Die Ausstellung im Musée d'Orsay dauert noch bis zum 4. Februar.
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