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Monumenta 3

Herzklopfen im Grand Palais

 Ulrike Sachweh

Artikel vom 13.01.2010 Letzte Aktualisierung am 14.01.2010 11:26 TU

Monumenta 3  Christian Boltanski "Personnes"© Didier Plowy - Monumenta/ministère de la Culture
Nach dem deutschen Künstler Anselm Kiefer und dem amerikanischen Bildhauer Richard Serra hat der französische Konzept- und Installationskünstler Christian Boltanski die Ehre einer One-Man-Show unter der Riesenkuppel des Pariser Grand Palais. Personnes (Personen) hat er die Ausstellung genannt, in der es jedoch kein einziges menschliches Wesen zu sehen gibt, außer den Besuchern.

Wenn man das Grand Palais betritt, sieht man eigentlich zuerst mal gar nichts, sondern nur eine imponierend hohe und breite Wand aus verrosteten Blechdosen, die Christian Boltanski wie Mauersteine zusammen gesetzt hat. Die Blechdosen gehören zu seinen Markenzeichen. Mit einzelnen Dosen, in denen er Spuren seiner eigenen Existenz und der anderer Menschen gesammelt hat, fing seine Künstlerkarriere in den 60er Jahren an. Seitdem hat er internationales Renommée erlangt, mit Werken, die eher verstörend als betäubend wirken. Er ist ein Spurensucher, nicht nur seiner eigenen Vergangenheit, sondern der Menschen (oder der Menschheit) des XX. und XXI. Jahrhunderts. Menschen, die verschwunden sind, in Konzentrationslagern, in Bürgerkriegen oder als Emigranten. Menschen, von denen nur noch Erinnerungsfetzen übrig sind: Dokumente, Fotos, Kleidungsstücke. Dabei schafft es Boltanski, die Konzentrationslager zum Beispiel nie direkt zu zeigen, sondern nur anzudeuten, die Assoziationen beim Betrachter zu erwecken, der umso heftiger reagiert. Auch bei Monumenta 3 im Grand Palais wird kein einzelnes oder kollektives Schicksal direkt angesprochen oder gezeigt. Umso stärker ist der Eindruck, den die Installation hinterlässt. Es beginnt mit einer beklemmenden Geräuschkulisse, die sich später als Herzklopfen identifizieren lässt, es sind Aufnahmen tausender verschiedener Herzschläge, die aus den überall aufgestellten Lautsprechern schallen.

Herztöne im Grand Palais

13/01/2010

Monumenta 3  Christian Boltanski "Personnes"Monumenta 3  Christian Boltanski "Personnes"
Die Herztöne beschallen ein weites, aus Rechtecken angeordnetes Feld voller ausgebreiteter Mäntel und Pullover, das die ganze Breite der riesigen Halle einnimmt. Jedes Rechteck ist von einer Neonlampe beleuchtet und erinnert an die Baracken in den Konzentrations- und Internierungslagern des zweiten Weltkriegs, aber auch an heutige Gefangenen- oder Immigranten-Auffanglager, wie Guantanamo auf Kuba oder Sangatte in Nordfrankreich.

 

 

 

Monumenta 3  Christian Boltanski "Personnes"© Didier Plowy - Monumenta/ministère de la Culture
Und hinter diesen geordneten horizontalen Kleiderfeldern türmt sich unter der gigantischen Glaskuppel ein riesiger Kleiderhaufen, über dem ein Baukran unentwegt einige Kleidungsstücke abgreift und 10 Meter höher wieder auf den Berg zurück fallen lässt. Diese Kulisse, die abends überdies in ein gespenstisches Halbdunkel getaucht ist, lässt jeden Betrachter erschaudern, umso mehr als das Grand Palais auf Boltanskis Wunsch nicht beheizt wird, und das bei derzeitigen Temperaturen um die 0 Grad. Seine Installationen waren immer schon ein sensorielles Erlebnis, diesmal ist es obendrein eine physische Prüfung. All das ist natürlich gewollt.

Christian Boltanski

13/01/2010

Ich wollte, dass man sich wirklich mitten drin fühlt und nicht außen vor. Der ganze Körper des Besuchers soll also "in den Bann gezogen werden". Das klingt etwas prätenzios, aber es handelt sich hier um ein Totalkunstwerk, jedenfalls um Kunst, die alle Sinne anspricht. Es gibt die Herztöne, den Kran, der unaufhörlich in Bewegung ist, die Kälte und am Abend die bedrückende Beleuchtung, all diese Elemente tragen zu dem Werk bei.

Ein ephemeres Werk, das nach Monumenta wieder verschwindet, so als sei das Grand Palais nur das Zwischenlager für Erinnerungen. Genauso wie die etwa 33 Tonnen Kleidungsstücke nur vorübergehend künstlerisches Material sind. Sie wurden von einer Kleider-Recycling-Firma ausgeliehen, die sie nach der Ausstellung entweder als Kleidungsstücke wieder verkauft (sofern sie noch brauchbar sind) oder zu Filz verarbeitet.

Monumenta 3  Christian Boltanski: "Personnes"© Ulrike Sachweh

Und ein beeindruckendes Werk, vielleicht noch überzeugender als die Installationen der beiden Monumenta-Vorgänger Anselm Kiefer und Richard Serra, weil Boltanski es verstanden hat, mit den schwierigen Räumlichkeiten zu arbeiten und sich nicht mit ihnen zu messen. Für den Initiator von Monumenta, Olivier Kaeppelin, Leiter der Abteilung Bildende Kunst im Kulturministerium, ist Boltanski der ideale Mann für solch ein Mega-Projekt.

Olivier Kaeppelin

13/01/2010

Das Prinzip von Monumenta ist es, ein Treffen und ein Erlebnis mit einem Künstler und einem breiten Publikum zu ermöglichen. Wir waren uns aber auch eines großen Problems bewusst: dass nämlich dieses riesige Gebilde des Grand Palais, dieser Pottwal, dessen Inneres man betritt, alle Werke klein macht, dass die Architektur das eigentliche Kunstwerk erdrückt. Wir hatten noch ein anderes Prinzip: dass sich ausländische Künstler, die in Frankreich leben, wie Anselm Kiefer, sich abwechseln mit Künstlern, die im Ausland leben, wie Richard Serra, und französischen Künstlern. Wir wollten jemanden finden, der sowohl in Frankreich als auch im Ausland ein breites Publikum anspricht, und dessen Werk sich genügend deutlich von dem seines Vorgängers absetzt. Das hat uns dazu geführt, Christian Boltanski auszuwählen. Christian Boltanskis Arbeit befasst sich mit dem Phänomen der Masse, mit der Menschheit an sich, nicht nur mit einzelnen Individuen, sondern mit einem plus einem anderen und so weiter, bis es Tausende und Millionen sind. Sie befasst sich mit den Tragödien des XX. Jahrhunderts und von heute.

Läuft Boltanski mit Monumenta und mit der fasy gleichzeitigen Ernennung zum Vertreter Frankreichs auf der nächsten Biennale von Venedig nun nicht Gefahr als "offizieller" französischer Künstler abgestempelt zu werden? Olivier Kaeppelin sieht dafür keinen triftigen Grund.

Olivier Kaeppelin

13/01/2010

Sind anerkannte Künstler notgedrungen auch offizielle Künstler? Das ist eine schwierige Frage. Es gibt in der Kunstgeschichte Künstler, die ein wunderbares Werk geschaffen haben, ohne dass sie einen besonderen Bezug zur Gesellschaft ihrer Zeit hatten, weil es sie nicht interessierte, oder weil sie ausgestoßen waren. Man denke an Van Gogh und andere Ikonen der modernen Malerei. Und dann gibt es Künstler, die anerkannt waren, die von ihrer Gesellschaft verstanden wurden. Das waren die "akademischen" Künstler oder im Gegenteil, die "unakademischen". Tizian war von seinen Zeitgenossen voll anerkannt, auch Rembrandt im ersten Teil seines Lebens, oder Rubens, ich könnte noch viele andere nennen. Ich denke, Christian Boltanski ist kein "akademischer" Künstler, sondern ein Künstler, der ausgehend von unserer Geschichte, unserer Gesellschaft, Aussagen und Bilder von solcher Schärfe und Genauigkeit schafft, dass diese Gesellschaft natürlich von seinem Werk berührt ist.

Der Künstler selbst nimmt die Frage mit Ironie, oder hat er etwa ernst gemeint, was er mir mit dem Herzklopfen im Hintergrund geantwortet hat?

Christian Boltanski

13/01/2010

Ich bin ein internationaler offizieller Künstler. Im Mai stelle ich in der New Yorker Armory aus, die ist ähnlich groß wie hier, ich habe ein gigantisches Projekt in Tokio im Juli. Die Biennale von Venedig reiht sich also in eine ganze Reihe von Projekten ein. Sie ist ja nun nicht DAS Weltereignis.