Katja Petrovic
Artikel vom 07.10.2008 Letzte Aktualisierung am 07.10.2008 09:02 TU
Dass gestern ein schwarzer Tag für die Börsen gewesen ist, macht LIBERATION besonders deutlich: schwarz ist auch die Titelseite, dazu zieht sich ein fallender roter Aktienkurs durchs Bild: so sah er also aus, „Le jour le plus bas", der bisher schwächste Tag an der Börse. Grund für diesen schwarzen Montag ist nach Meinung des Leitartiklers das unverantwortliche Handeln der europäischen Politiker. Sah es zunächst danach aus, als habe man aus der Krise von 1929 gelernt, seien schlieβlich doch die bösen Geister von einst wieder geweckt worden, beklagt LIBE. Denn statt eines gemeinsamen Plans handele jeder für sich: „Nationalisme suicidaire"- selbstmörderischer Nationalismus sei das, meint LIBE. Die Hütte brenne, doch wolle jeder nur seine Idole retten, allen voran Irland und Deutschland, das glaube, den Geist der Spekulation allein zurück in Aladins Wunderlampe verbannen zu können. Einzig eine europäische Politik könne wieder einen Funken Vertrauen schaffen, mahnt der Leitartikler. Die Zeit der Abrechnung sei für Europa noch lange nicht gekommen. LIBERATION allerdings rechnet heute gnadenlos ab mit dem alten Kontinent.
BNP Paribas mit gutem Beispiel voran
Die panischen Gesichter der Börsianer gestern sieht man auf dem Titel des FIGARO. „La crise de confiance" - die Vertrauenskrise steht darüber in dicken weiβen Lettern. Im Leitartikel jedoch keine Rede von Unverantwortlichkeit. Im Gegenteil, die Bankiers würden schon genug geschmäht, meint der Leitartikler und stimmt ein wahres Loblied auf die BNP Paribas an. Denn mitten in der ungewissen Dominopartie habe die französische Bank mit der Übernahme von Fortis Stärke und Stabilität bewiesen und die komme nicht von ungefähr. Habe sich die Bank doch weniger auf "giftige" Produkte gestürzt als andere und im ersten Semester trotz Subprime-Krise einen Gewinn von 3, 5 Milliarden Euro erzielen können, begeistert sich der FIGARO. Und so habe die BNP gestern mit Fortis ihre Chance ergriffen, während die anderen noch nach Rettungsbojen suchten. Wer hätte gedacht, fragt der Leitartikler stolz, dass Umsicht, Leistung und Wachstum doch miteinander vereinbar sind?
Wenn alle Deiche brechen, bauen die Banken auf Kleinanleger
„Crise financière, crise de confiance", heiβt es auch auf dem Titel der katholischen Tageszeitung LA CROIX. Einen leidenschaftlichen Leitartikel dazu gibt es jedoch nicht. Nüchtern fasst das Blatt die gestrigen Ereignisse zusammen. Die BNP jedoch wird auch von La Croix als Gewinner im Sturm der Finanzen bezeichnet. 239 Milliarden Euro betragen die Spareinlagen von Fortis- eine enorme Ressource von strategischem Wert, meint LA CROIX. Denn während den anderen Banken derzeit das Geld an allen Enden und Ecken fehle, profitiere die BNP nun von den Einlagen der Investoren und Privatanleger. Einen „véritable coup de maître", einen Meisterschuss also habe die französische Bank damit gelandet und das alles für die kokette Summe von nur 14,5 Milliarden Euro, schlieβt LA CROIX .
Auch das Wirtschaftsblatt LES ECHOS bezeichnet die Einlagen der Privatanleger als Rettungsanker für die Banken. Alle anderen Deiche seien in der finanziellen Sturmflut bereits weg gebrochen. "Und so lehnen sich die Banken nun ein wenig an die starken Schultern der Witwen von Carpentras, Sheffield, Karlsruhe, Charleroi und Milwaukee", schreibt das Blatt ironisch. Sorgen macht sich der Leitartikler jedoch im Bezug auf die Finanzmärkte, denn diese hätten gestern zum ersten Mal panisch reagiert. Überall auf der Welt seien die Einbrüche an den Börsen spektakulär gewesen, schreibt das Blatt und beklagt seinerseits das egoistische Vorgehen der europäischen Staaten. Nichts deute derzeit darauf hin, dass sich die Banken die nötigen Fonds leihen werden, um gemeinsam aus der Krise zu rudern. Da sei es nur verständlich, dass nun jeder für sich versuche, die Konten seiner Kunden vor dem Untergang zu retten. Nur sei es an der Zeit, eben auch andere Deiche zu schützen, schlieβt das Wirtschaftsblatt.
Ein Sicherheitsnetz für akrobatische Bankengeschäfte
Und die europäischen Privatanleger selbst? "Konnte Nicolas Sarkozy ihnen tatsächlich Vertrauen geben, indem er ihnen im Namen der EU eine Garantie für ihre Einlagen versprach?" Das fragt das südfranzösische Blatt NICE MATIN. Ein zweischneidiges Schwert sei das, antwortet der Leitartikler selbst, denn die Tatsache, dass man nun ein Sicherheitsnetz spanne, zeige nur umso deutlicher, wie „akrobatisch" die Situation gerade sei. Und schaue man der Realität ins Auge, könne kein Staat das Sparguthaben jedes einzelnen Anlegers auf den Pfennig genau schützen, schlieβt das Blatt aus Nizza schlieβlich gänzlich pessimistisch.
Das Leck im System
Le DAUPHINE LIBERE schlieβlich stöβt ins gleiche Horn. An sich gar nicht so schlecht, reichten die guten europäischen Vorsätze keinesfalls aus, schreibt das Blatt aus Grenoble. Genauso wenig, wie die feierlichen Worte eines Nicolas Sarkozy nach dem „Mini EU-Gipfel" auf dem roten Teppich vor dem Elysée. Wie groβ das Loch in der Wanne des Finanzwesens wohl sein mag, fragt sich das Blatt und versucht die Sache trotz allem mit Humor zu nehmen: Bevor man daran denke, die Wanne wieder aufzufüllen, müsse das Leck repariert werden. Notfalls auch mit Hilfe eines polnischen Schwarzarbeiters.
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