Eckart D. Stratenschulte
Artikel vom 27.10.2009 Letzte Aktualisierung am 28.10.2009 09:48 TU
Nun sieht es ja so aus, als würde es doch noch was werden mit dem Lissabonner Vertrag, nachdem der Europäische Rat sich bereit erklärt hat, dem tschechischen Präsidenten durch gesichtswahrende Erklärungen entgegen zu kommen.
Damit ist zwar ein wichtiges Stück des Weges geschafft, aber das Ziel noch lange nicht erreicht. Jetzt muss der Lissabonner Vertrag nämlich mit Leben erfüllt werden, und das ist so einfach nicht.
Der erste Schritt ist die Neubesetzung der Europäischen Kommission. Das ist eigentlich die Aufgabe des Präsidenten der Europäischen Kommission, der die Frauen und Männer nach ihrer allgemeinen Befähigung und ihrem Einsatz für Europa auswählen soll, immer darauf achtend, dass aus jedem Mitgliedstaat eine Persönlichkeit dem Gremium angehört. Die Wirklichkeit ist allerdings anders. Tatsächlich lässt man José Manuel Barroso keine Wahl, sondern diktiert ihm aus den Mitgliedstaaten, wen er zu berücksichtigen habe. Dass er dagegen nicht aufmuckt, zeigt seine Schwäche, derentwegen er ja gewählt worden ist. Nach Jacques Delors wollten die Regenten der Mitgliedstaaten keinen starken Kommissionspräsidenten mehr, danach richten sie ihre Berufungen aus.Seit dem Wochenende weiß Barroso auch, wen er aus Deutschland auswählen darf, nämlich Günther Oettinger. Diese Benennung der Kanzlerin hat alle überrascht, wie man hört auch Oettinger selbst. Dafür, den jetzigen baden-württembergischen Ministerpräsidenten nach Brüssel zu schicken, gibt es mehrere Gründe – aber keiner hat mit Europa zu tun. Oettinger schwächelt im Ländle und gefährdet damit bei den nächsten Wahlen den CDU-Erfolg. Außerdem gehört Oettinger zu den Kritikern der Kanzlerin – und so was hat die nicht gern.
Europapolitisch ist Oettinger bislang nicht hervorgetreten – wenn man von einem alkoholisierten Auftritt in der baden-württembergischen Landesvertretung in Brüssel vor knapp zwei Jahren absieht. Nun heißt das nicht, dass Oettinger den Kommissarjob nicht erlernen könnte, aber es bedeutet auch, dass er ihn erst erlernen muss. Er ist, wie es im Jargon der EU-Experten heißt, in Europa nicht verdrahtet, das heißt, er kennt keinen und er weiß nicht, wie es funktioniert, wenn drei Institutionen, nämlich der Rat, das Parlament und die Kommission, alle aus jeweils 27 Mitgliedstaaten, miteinander zu einem Kompromiss kommen sollen.
Die Kanzlerin hat bei ihrer Entscheidung also vermutlich nicht an Europa gedacht – oder doch? Die Kommissarinnen und Kommissare sollen ja keine nationalen Vertreter im Kommissionskollegium sein, sondern nur an die europäische Sache denken. War Merkels Personalauswahl vielleicht ein europafreundliches Zeichen, nach dem Motto: „Seht her, wir verzichten darauf, einen starken Interessenvertreter in die Kommission zu schicken!“? Das wäre ein interessanter Ansatz, der allerdings nur erfolgreich sein könnte, wenn die anderen Mitgliedstaaten ähnlich handeln würden. Andererseits: Eine Kommission mit 27 Oettingers wäre auch nicht unbedingt ein Gewinn für Europa. Vermutlich hat die alte und neue Regierungschefin doch eher an sich selbst gedacht. Und je stärker sie ist, desto mehr kann sie auch die europäischen Angelegenheiten richten. So schließt sich der Kreis.Glosse
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