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Europaglosse vom 18. November 2009

Gipfelüberlegungen

 Eckart D. Stratenschulte

Artikel vom 16.11.2009 Letzte Aktualisierung am 18.11.2009 09:47 TU

Die Glosse vom 18. November 2009

17/11/2009 Eckart D. Stratenschulte

Alle Augen richten sich auf den Brüsseler Sondergipfel, der die neuen Führungsfiguren der Europäischen Union bestimmen soll. Ein anderer Gipfel, der am Vortag in Stockholm stattfindet, gerät dabei völlig aus dem Blick, nämlich das Spitzentreffen zwischen der EU und Russland.

Nicolas Sarkozy und Dmitri Medwedew beim EU-Russland-Gipfel in Nizza(Photo: Reuters)
Russland ist ein chronisch rückständiges, archaisches und chaotisches Land, dessen Erfolg lediglich auf dem Rohstoffreichtum basiert, das aber nicht über eine konkurrenzfähige Industrie verfügt und von Korruption auf allen Ebenen zerfressen ist. Das ist keine antirussische Beschimpfung aus dem Westen, sondern das waren exakt die Feststellungen, die Russlands Präsident Medwedew vor wenigen Tagen in einer Rede vor den russischen Abgeordneten beider Kammern getroffen hat.

Er hat aus seiner Analyse eine Reihe von Konsequenzen gezogen, die zum Teil geradezu rührend sind. So soll der Schulsport auf drei Stunden pro Woche erweitert werden und man will versuchen, in Zukunft wenigstens einen Teil der notwendigen Medikamente selbst herzustellen. Aber nur mit Turnübungen und Aspirin wird Russland den Weg zur Weltmacht, die es doch so sehnlich sein möchte, nicht bewältigen können. Hierzu bedarf es einer größeren Offenheit der Gesellschaft und das heißt demokratischer Strukturen. Medwedew sieht das Problem und will mehr Diskurs zulassen, aber nur solange er der Verbesserung der bestehenden Verhältnisse dient. Auf der zentralen Ebene sei die Demokratie schon ziemlich perfekt, so der Präsident, nur in den Regionen bestehe Handlungsbedarf. Und, so der oberste Russe weiter, alle Versuche, durch Demokratie die Regierung zu destabilisieren oder die Gesellschaft zu verändern, würden verhindert. Aber ohne Offenheit und eben auch Demokratie werden Medwedews Worte folgenlos bleiben.

Für eine grundlegende Modernisierung benötigt Medwedew zudem einen externen Partner. Mit seinen Freunden Kasachstan und Belarus wird er dieses Ziel wohl kaum erreichen, mit seinem strategischen Konkurrenten China schon gar nicht. Hier bietet sich nur die Europäische Union an, die ihrerseits seit langem und bisher vergeblich versucht, Russland in neue Kooperationsstrukturen einzubinden. Die letzten Gipfeltreffen bestanden nur aus Fototerminen und gemeinsamen Mahlzeiten. Es gab nicht einmal mehr ein Kommuniqué, weil ja auch keine Ergebnisse mitzuteilen waren. Die Europäische Union weiß, dass die Probleme Europas von Georgien bis Kosovo sich ohne Russland nicht lösen lassen. Sie hat aber in den letzten Jahren die Erfahrung gemacht, dass dies auch mit Russland nicht möglich ist.

Der Kreml zeigte bislang wenig Interesse daran, sich in eine gemeinsame Problemlösung einzubringen, er sah sich darin in seiner Entwicklung zur Weltmacht gestört. Die Rede Medwedews zeigt die auch in Moskau reifende Erkenntnis, dass die eigene Bedeutung von inneren Reformen abhängt und nicht durch außenpolitisches Protzgehabe hergestellt wird. Das ist eine Chance für beide Seiten. Die EU sollte offen auf Medwedew zugehen. Der wird allerdings seinen Führungsoffizier Wladimir Putin noch überzeugen müssen. Der russische Premierminister war bei der Präsidentenrede anwesend, schaute allerdings die ganze Zeit, als habe er auf eine Zitrone gebissen. Falls Putin blockiert, kann auch die EU wenig tun, und es bleibt bei oberflächlichen Reformen wie dem Vorschlag des Präsidenten, die Zahl der Zeitzonen zu reduzieren. Er wird dann immerhin als Erfolg vermelden können, dass seine Bürger im Osten früher aufstehen. Aber das alleine wird kaum reichen, aus einem Entwicklungsland einen modernen Staat zu machen.

Eckart D. Stratenschulte ist der Leiter der Europäischen Akademie Berlin