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Europaglosse vom 9. Dezember 2009

Denken wie ein Andenbauer muss gelernt sein

 Jaroslav Sonka

Artikel vom 08.12.2009 Letzte Aktualisierung am 09.12.2009 10:04 TU

Die Glosse vom 9. Dezember 2009

08/12/2009 Jaroslav Sonka

Evo Morales und Nicolas Sarkozy im Elysée-Palast, Februar 2009.Foto: Reuters
Evo Morales hat wieder die bolivianische Präsidentschaftswahl gewonnen. Man kann diesen Fakt mögen oder ablehnen. Es wäre scheinbar auch nur ein Thema für eine Lateinamerika-Glosse.  In Europa ist es jedoch keineswegs uninteressant. Wir wollen doch, jetzt mit dem Lissabon-Vertrag umso stärker, eine gemeinsame Außenpolitik betreiben. Doch Morales, ein Bewunderer von Chávez und von Castro, spaltet die europäische Außenpolitik.

Da gibt es einen Václav Havel und eine Reihe solcher, die aus den neuen Mitgliedsländern der EU kommen. Sie sagen: „Wir haben nicht gegen den Kommunismus deshalb gekämpft, um jetzt den einen (oder anderen) Castro zu unterstützen und Chávez und Morales sind im gleichen Sack“. Richtig: Morales sprang in diesen Sack schon mit seinen ersten Kommentaren nach der Wahl. 

Andere, nicht nur im Westen, erinnern sich, dass der Helsinkiprozess kein radikaler Kampf gegen den sowjetischen Kommunismus war, aber diesen Kommunismus dennoch entscheidend geschwächt hatte. Wie soll man nun heute gegenüber  Ideologen handeln? Nun, Morales hat in Bolivien noch einige richtig hässliche Kapitalisten. Und europäische und amerikanische Firmen gehen nach Lateinamerika keineswegs deshalb, um unsere Menschenrechts- und Umweltstandards zu verbreiten. Hat also Morales nicht doch ein bisschen recht?

Ehemalige Dissidenten in Mittel- und Osteuropa antworten: „Nein, Morales, Chávez, Castro, herrschen totalitär.“ Haben nicht auch sie ein bisschen recht? Was tun? Diese Dissidenten schäumen, wenn Spanien eine differenzierte Politik gegenüber den lateinamerikanischen Ländern plant, die – wie damals Helsinki – auf Dialog und sukzessive Verpflichtungen baut. Dafür könne doch der spanische Ministerpräsident Zapatero, ein Linker (mit allen in Dissidentenaugen negativen Attributen), so meinen sie. Dass Fidel Castro bei seinem Besuch jener Gegend in Spanien, aus der seine Großeltern stammten, von Manuel Fraga begleitet wurde, einem Rechten, ehemals Francos Minister, übersehen sie geflissentlich.

Wie entsteht dann eine gemeinsame Politik? In der EU 27 haben wir – bei der Betrachtung der Geschichte  - Spezialisten für verschiedene Gegenden der Welt. Wir sollten die breite dort verfügbare Information studieren und nicht vorschnell urteilen und insbesondere nicht mit einseitigen Auffassungen sofort trommeln. Wenn schon die Außenpolitik eines einzelnen Landes kompliziert ist, wird es in der EU nicht einfacher. Der Vertrag von Lissabon reicht nicht. Ich schlage Atemübungen vor: Zunächst fünf Minuten um zu überlegen, was ein Andenbauer weiß, was er beim Wahlkampf erfuhr, was er wohl erträumt. Weitere fünf Minuten sollten wir über die verschiedenen Erfahrungen innerhalb der EU 27 nachdenken. Dann erst können wir die Politik bauen. Wenn wir nicht so anfangen, wird uns unsere verschiedene europäische Erinnerung nach wie vor spalten und die gemeinsame Außenpolitik bleibt unerreichbar. 

Jaroslav Sonka von der Europäischen Akademie Berlin© eab-berlin
Jaroslav Sonka von der Europäischen Akademie Berlin