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Europaglosse vom 12. August 2009

Souveränität und Selbstbestimmung

 Jaroslav Sonka

Artikel vom 11.08.2009 Letzte Aktualisierung am 11.08.2009 15:16 TU

Die Glosse vom 12. August 2009

11/08/2009 Jaroslav Sonka

Nun haben wir also einen neuen kreativen Ansatz, Europa noch perfekter zu machen. Aus der österreichischen FPÖ kommt der Vorschlag, Südtirol über die Selbstbestimmung abstimmen zu lassen – mit der Hoffnung, Österreich würde dadurch größer werden. Die anderen Parteien in Wien waren zwar sofort dagegen, aber es ist dadurch nicht aus der Welt. Man kann politische Vorschläge dieser Art ruhig „Flausen“ nennen, aber hängen bleibt immer etwas.

Slowaken bewachen ihre Sprache, Ungarn will sich mehr daran erinnern, dass die heutige Slowakei früher eigentlich „Oberungarn“ war. Das Serbokroatische soll es nicht mehr geben – erst nach dem sechsten Schnaps geben die Sprecher des Kroatischen, Serbischen und Bosnischen zu, dass sie miteinander reden können. Belgien zerfällt, aber dort ist es angesichts des Wohlstandes eigentlich humorvoll zu nehmen – wenn nicht jemand aus der braunen Ecke anfängt, über Gewalt nachzudenken. Morde hat es da schon gegeben. Haben wir in Europa vergessen, was daraus entstehen kann? Sogar das Deutsche historische Museum benutzt wieder den nationalistischen Begriff „Heiliges Römisches Reich deutscher Nation“, den man in den Regesten, dem über Jahrhunderte gesammelten Archiv des Reiches, nicht findet. Wie auch, wenn Burgund, die Niederlande, die Lombardei usw. in diesem Reich waren.

Nation, Souveränität, Einmischung, „die da“ und „wir“, nun, das alles gibt es, aber es ist mir bisher nicht wie eine tragende Achse meines Lebens vorgekommen. Und schon gar nicht sinnvoll erscheint mir, die eigene Identität zu verklären – das ist ein Weg zu ihrem Missbrauch. Bei einem Kurzurlaub in Südmähren habe ich neulich das Wappen der Liechtensteiner betrachtet und versucht die Bildchen zu verstehen, die etwas über die Identität und Souveränität aussagen.

Liechtenstein, ein souveränes Alpenfürstentum, einige Quadratkilometer Steuerparadies, ein Fürst, ein Ministerpräsident und wenige Ministerinnen und Minister, sparsam. Deutschsprachig. Als die Nachkriegstschechoslowakei viel Eigentum einkassierte, hat sie auch die Liechtensteiner enteignet – als Deutsche – was diese jedoch bis heute nicht sein wollen. Sehr kompliziert war die Enteignung von Südtirolern, die von ihrer italienischen Staatsangehörigkeit zumindest teilweise geschützt waren – das sollte man der FPÖ sagen.

Zurück: Bildchen und die Liechtensteiner. Es ist ein kleines Studium, um ihre Wappenteile zu erkennen und zuzuordnen. Zweifarbig das eigene mittlere Schildchen. Aber dann kommt es: Ein schlesischer Adler (Schlesien bleibt unser – Liechtensteinisch?), das Herzogtum Troppau, Herzogtum Jägerndorf, auch Kounitz-Rietbergs haben ein Stück beigesteuert – und die Kuenrings, 1594 ausgestorben, sind auch dabei. Die Arbeit, diese Territorien auf der Karte zu finden, ist beträchtlich. Sie sind zwischen Ostfriesland, Schlesien, Mähren und den Alpen. Und heute sitzt im Prager Palais Liechtenstein die deutsche Botschaft. Ein ziemliches Durcheinander. Aber von jeder einzelnen dieser immer noch unvollständigen Angaben könnte man Ansprüche ableiten, wenn man wie die FPÖ denken würde.

Die Liechtensteiner wissen jedoch, wovon sie Leben, auch wenn der deutsche Finanzminister das nicht mag. Von den Luftschlössern vermeintlicher Selbstbestimmung kann man eben nicht leben. Nach dem Krieg haben die Europäer noch verstanden, dass Selbstbestim-mung nicht Abgrenzung bedeutet. Heute müssen wir das erneut lernen – und dabei vielleicht auch neue Argumente für unsere Integration finden.

Jaroslav Sonka von der Europäischen Akademie Berlin© eab-berlin
Jaroslav Sonka von der Europäischen Akademie Berlin