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Europaglosse vom 19. August 2009

Schatten auf Europa

 Eckart D. Stratenschulte

Artikel vom 19.08.2009 Letzte Aktualisierung am 19.08.2009 09:42 TU

Die Glosse vom 19. 8. 2009

19/08/2009 Eckart D. Stratenschulte

Dmitri Medwedew und Merkel am 14 8. 2009.
Es geht voran in den deutsch-russischen Beziehungen. Frau Merkel tauscht Freundlichkeiten mit dem russischen Präsidenten Medwedew aus, die Russen retten die Wardan-Werft, und die Bundesregierung hofft, dass die russische Sber-Bank auch Opel hilft.

Gute Beziehungen mit Moskau sind nicht zu kritisieren. Es gibt keine Lösung der europäischen Probleme ohne Russland - bislang allerdings auch keine mit ihm. Deshalb ist es nicht verkehrt, durch intensiven Austausch, durch die Verflechtung wirtschaftlicher Interessen und durch gelegentliche nette Gesten das Verhältnis zu entkrampfen. Dass unsere Nachbarn im Osten, speziell die Polen und die Balten, beim deutsch-russischen Flirt skeptisch sind, erklärt ein Blick in die Geschichte.

Fast auf den Tag genau vor 70 Jahren trafen sich der deutsche Reichsaußenminister von Ribbentrop und sein sowjetischer Kollege Molotow in Moskau.

Nach außen sah es harmlos aus, was die beiden am 24. August 1939 unterschrieben, nämlich einen Nichtangriffspakt zwischen Deutschland und der Sowjetunion. Das Besondere an diesem Dokument ist jedoch, dass sie damit gleichzeitig einen Angriff auf Europa konzipierten. Zu diesem Zeitpunkt war längst klar, dass Deutschland seine Nachbarn überfallen wollte. Versuche der Westmächte, die Sowjetunion in eine Abwehr-Koalition einzubinden, scheiterten an Moskau. Man setzte dort lieber auf den vermutlichen Sieger, sicherte diesem zu, die Füße still zu halten und ließ sich dafür mit Gebieten bezahlen, die den Deutschen gar nicht gehörten.

So gab es zu dem Ribbentrop-Molotow-Pakt ein Zusatzabkommen, das Polen zwischen den beiden Großmächten aufteilte und das auch das Ende der baltischen Staaten besiegelte. Mit dem Vertrag im Rücken konnten die Deutschen das Nachbarland Polen, mit dem es übrigens seit 1934 auch einen Nichtangriffspakt gab, überfallen, ohne Ärger mit den Sowjets befürchten zu müssen, die nun ihrerseits am 17. September von der anderen Seite aus in Polen einmarschierten und „ihren“ Teil besetzten.

Zwei Jahre später wurde die Sowjetunion dann selbst Opfer der deutschen Aggressionspolitik. Nun erst kam es zu der Anti-Hitler-Koalition, die 1945 den Sieg errang. Hitler brachte sich um, sein Reichsaußenminister wurde in Nürnberg zum Tode verurteilt und als Erster hingerichtet. Da ging es seinem sowjetischen Komplizen besser. Er blieb Stellvertreter Stalins, wurde nach dessen Tod erneut Außenminister und als er sich im parteiinternen Machtkampf verhedderte, wurde er in die Mongolei abgeschoben – als  Botschafter. 1986 starb er mit 96 Jahren friedlich im Bett.

Der jetzige russische Ministerpräsident Wladimir Putin erklärte 2005 die Auflösung der Sowjetunion im Jahre 1991 zur „größten geopolitischen Katastrophe des 20. Jahrhunderts“.

Auf die Rolle der Sowjetunion und ihrer Politiker hinzuweisen, schmälert deutsche Schuld und Verantwortung nicht. Es schätzt auch nicht die Opfer gering, die die Sowjetunion in den Jahren 1941 bis 1945 erbringen musste. Aber es macht verständlich, warum einige unserer Partner in der EU den politischen Ambitionen Russlands gegenüber große Zurückhaltung üben und allergisch reagieren, wenn sie das Gefühl haben, Deutschland und Russland wollten sich über ihre Köpfe hinweg miteinander verständigen. Bevor man auf diplomatischen Cocktail-Parties den Kopf über die Polen und die Balten schüttelt, sollte man an den „Molotow-Cocktail“ von 1939 denken.

Eckart D. Stratenschulte von der Europäischen Akademie Berlin

Eckart D. Stratenschulte© eab-berlin