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Europaglosse vom 23. September 2009

"Türkenargumente" im Wahlkampf?

 Jaroslav Sonka

Artikel vom 21.09.2009 Letzte Aktualisierung am 23.09.2009 10:35 TU

Die Glosse vom 23. September 2009

23/09/2009 Jaroslav Sonka

Eine Woche war ich mit einer Gruppe türkischer Spitzenjournalisten unterwegs. Wir haben die deutsche Vorwahlzeit analysiert. Und natürlich sind meinen Gästen auch Fragen eingefallen, die mit dem türkischen Beitritt zur EU zusammen hängen. Nun, es wird bald nach den deutschen Wahlen sein, wenn die EU sich zur Türkei äußern wird.

Der türkische Premierminister Erdogan und EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso am 19. Januar 2009.(Photo : Reuters)
Im November erfahren wir, was die europäische 27 anhand des sogenannten Ankara-Protokolls zur türkischen Haltung sagen wird. Warum lassen die Türken keine zypriotischen Schiffe in ihre Häfen, Flugzeuge auf ihre Flughäfen, wenn sie es doch versprochen hatten? Das fragt die EU. Und meine türkischen Kollegen antworten der EU und fragen gleichzeitig deutsche Partner: Warum beendet die EU nicht die Diskriminierung von Nordzypern – es wurde doch auch versprochen? Und: warum machen da die Deutschen mit, auch mit den ablehnenden Franzosen, wenn sie doch besondere Beziehungen zur Türkei haben, vor allem  angesichts dieser vielen Wähler türkischer Herkunft? Die Antwort ist immer – es kann nicht verlangt werden, dass die EU die Solidarität mit einem Mitgliedsland aufgibt. Gemeint ist Zypern. Ja, Südzypern, meinen die Türken, und diesen Namen benutzen sie systematisch, aber… Und die Diskussion dreht sich im Kreis. Nicht dass die deutschen Gesprächspartner übermäßige Sympathien zu den Zyprioten zum Ausdruck bringen (allerdings reden sie darüber nicht und seufzen nur nonverbal), aber so ist halt die EU eingestellt. Im November knallt es. Werden die Beitrittsverhandlungen weiter erschwert? Werden andere Wege gefunden? Wird der Termindruck alle kompromissbereit machen? Bei Balgereien auf dem Schulhof haben wir uns immer einen Dritten geholt, der aufpasste, dass wir den milden letzten Stoß gleichzeitig platzierten. In der Diplomatie muss einer der Erste sein.

Unter uns Journalisten haben wir diesen Tatbestand eingegrenzt und werden die Szene nun 3 Monate lang aufmerksam beobachten. Aber in einem haben mich meine Gäste überrascht. Bei Gesprächen mit allen Deutschen wollten sie ständig wissen, welche Bedeutung die Frage des türkischen Beitritts im Wahlkampf spielt. Sie wollten über die verschiedenen deutschen politischen Strömungen verschieden schreiben. Sie wollten differenzieren und ihr einheimisches Publikum mit der zerklüfteten politischen Szene in Deutschland vertraut machen, über Unterschiede zu Frankreich, dessen System die Türkei vor Jahrzehnten übernommen hatte, aber heute dort keine Gegenliebe findet. Nun, nichts war zerklüftet. Stille herrscht, wenn man den türkischen Beitritt anspricht.

Die Internetplattform abgeordnetenwatch.de ergibt zwar, dass 90% der erfassten SPD-Politiker für den Beitritt der Türkei sind, hinter vorgehaltener Hand machen jedoch Experten darauf aufmerksam, dass dies nicht die Auffassung der Parteibasis spiegelt, sondern reine Parteidisziplin ist. Weniger Disziplin haben offenbar die anderen Parteien, bei denen eine geteilte Meinung festgestellt werden kann. Man hört jedoch auch, dass etwa die CDU bei den Verbänden türkischstämmiger Mitbürgerinnen und Mitbürger vorsprechen, denn konservative Kleinunternehmer, selbst türkischer Herkunft, sollten doch zu ihrer natürlichen Klientel gehören. Und Cem Özdemir ist zwar eindeutig für den Betritt der Türkei, aber zählt gleich einen langen Katalog von Aufgaben auf, die das Land erfüllen müsse – in Ankara wollen das sicher nicht alle so hören. Nun, wir haben jetzt so viele Wählerinnen und Wähler türkischer Herkunft, dass für – fast - jede Partei etwas dabei ist. Meine türkischen Kolleginnen und Kollegen kommen ohne eine eindeutige Geschichte über Deutschland nach Hause. Und nach einer Woche in Berlin sind sie sicher froh, dass in Deutschland nicht „DAS Türkenproblem“ bekannt ist. Auch mich beruhigt es, wenn trotz aller Zusammenhänge im deutschen Wahlkampf nicht mehr vereinfacht argumentieren werden kann – im Stil Kinder statt Inder, ich meine Türken.

Jaroslav Sonka von der Europäischen Akademie Berlin© eab-berlin
Jaroslav Sonka von der Europäischen Akademie Berlin.